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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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an dem Auguste ihre Briefe schrieb. Doch der Pass blieb unauffindbar.
     
    Der Landauer hatte die Stadtmauer hinter sich gelassen, die Pferde trabten nun durch einen Park aus Tannen und Akazien mit breiten, von kleinen Lampen gesäumten Wegen. Hier und da passierten sie kunstvolle Statuen oder birkengesäumte Teiche. Linker Hand floss die Spree, an deren Ufer vereinzelte Erfrischungszelte aufgebaut waren, wo man im Sommer Limonaden und Säfte anbot und zum Tanz aufspielte. Sie schienen geschlossen.
    Waren die Straßen und Wege noch bis kurz vor der Stadt mit etlichen Kutschen gefüllt, so kamen ihnen jetzt nur noch wenige entgegen.
    Auguste von Rückertshofen sah sorgenvoll zum Himmel. Der Wind hatte zugenommen, fegte in Böen das Laub von den Wegen und zerrte an ihrem Hut. Über ihnen braute sich ein Unwetter zusammen, das innerhalb der nächsten Stunde über sie hereinbrechen und den Spaziergang im Freien unmöglich machen würde, so ungern sie es sich auch eingestand. Zudem war es höchste Zeit, das Verdeck zu verschließen, wenn sie trocken bleiben wollten.
    Sie wandte sich Friederike von Spieß zu. Die Gastgeberin war auf dem Wege eingeschlafen, ihr Mund stand offen und legte den gewaltigen Hals in Falten.
    »Es sieht nach Regen aus«, sagte Auguste vorsichtig. Am liebsten hätte sie einfach an ihr gerüttelt, aber das würde alles nur noch schlimmer machen.
    Die Juweliersgattin erwachte mit schnarchendem Geräusch, schlug die Augen auf und sah nach oben. »Sie haben recht.« Sie beugte sich vor und gab einem der livrierten Herren Weisung, das |121| Verdeck zu schließen und den Wagen zu wenden. »Ich schlage vor, wir kehren um. Mir ist ohnehin der Tag verdorben.«
    Es war der erste Satz, den sie seit der Abfahrt gesprochen hatte. Auguste setzte sich auf, ergriff die Gelegenheit, sich bei ihr einzuschmeicheln.
    »Der Vorfall tut mir unendlich leid.«
    »Das sagten Sie bereits.«
    »Darf ich Sie als Entschädigung in die Oper einladen?«
    »Ich werde es mir überlegen.« Friederike von Spieß’ Stimme klang eisig.
    Über ihnen wurde das Verdeck zugezogen und mit einem Klacken arretiert. Dann fuhr die Kutsche mit einem Rucken an und vollzog ein Wendemanöver, das sich auf dem schmalen Fahrweg sehr umständlich gestaltete.
    Auguste rückte ihren Hut zurecht und schwieg. Sie war wütend. Wütend auf sich, auf Helene. Sie hätte nicht auf sie warten dürfen, das Konfekt war nun ohnehin verdorben, lag zertreten auf dem Boden der Wohnung. Doch als sie dann auch noch die Scherben des zerbrochenen Kruges gefunden hatte, war es mit ihr durchgegangen.
    Der Sand der Wege knirschte in den Rädern, die Pferde schnaubten in der kalten Luft. Bald würden sie die breite Allee erreichen, die sie zurück in die Stadt führte.
    Auguste spürte, wie sich die Wut erneut in ihr zusammenzog und darauf wartete, sich zu entladen. Sie atmete seufzend, um sich zu beruhigen, und insgeheim hoffte sie dabei, ein wenig Mitgefühl in ihrer Gastgeberin zu wecken. Dieser Tag hatte eine Auszeichnung werden sollen, ihre Einführung in die höchsten Kreise der Gesellschaft. Letzte Woche noch hatte Friederike in Aussicht gestellt, an ihrem literarischen Salon teilzunehmen. Heute war diese Vorstellung in weite Ferne gerückt. Auguste ballte die Faust unter der Decke. Sie hatte es satt, immer nur in zweiter Reihe zu stehen, es langweilte sie zutiefst. Sie seufzte erneut.
    »Nein«, sagte Friederike von Spieß unvermittelt, »offen gestanden möchte ich nicht mit Ihnen in der Oper gesehen werden. Es |122| bewahrheitet sich doch immer wieder, was man sich über das Wesen der Ostpreußen erzählt.« Sie sah Auguste an und rückte ein Stück ab. »Sie sind mir ein wenig zu … na, sagen wir, zu provinziell.«
    Heiß stieg Auguste die Röte ins Gesicht. Sie straffte den Rücken und beschloss, den Rest der Fahrt mit aller ihr zur Verfügung stehenden Würde hinter sich zu bringen.
     
    Als kleines Mädchen hatte sich Helene immer neue Verstecke gesucht, um ihre kleinen Schätze vor den Augen und dem Zugriff ihrer Halbbrüder zu verbergen. Steine, die in der Sonne glitzerten, ein hübsch gefärbtes Blatt, Muscheln von den Planken eines Fischerboots. Hatte sie geglaubt, diese Erfahrung würde es ihr erleichtern, auch die Verstecke anderer rasch zu entdecken, so musste sie sich nun eingestehen, sich geirrt zu haben.
    Die Stube glich einem Schlachtfeld. Inzwischen hatte sie jegliche Zurückhaltung aufgegeben, Gegenstände, Bücher und Papiere

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