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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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selbstherrlichen Gockel sah, einen gottverdammten Moralisten.
    Die Ablehnung aber, die Hufeland nun entgegenschlug, überraschte, ja, verletzte ihn. »Ich muss mit dir reden.«
    »Lass gut sein.«
    »Lass gut sein? Und im nächsten Moment bin ich plötzlich der beste Freund. Johann, ich kenne mich nicht mehr aus!«
    »Am besten ist, wir vergessen die ganze Sache.«
    »Wie kann ich das vergessen, was du mir unter Eid erzähltest? Es gibt noch so vieles, was mir durch den Kopf geht. Was ist wirklich mit den Mädchen geschehen, mit Albert oder Ludwig? Ich kann es nicht ändern, dass mich diese Fragen nicht loslassen, und du bist der Einzige, der die Wahrheit kennt.«
    |130| »Du irrst dich«, beharrte Vogt. »Ich habe dir bereits alles erzählt, was ich weiß.« Damit drängte sich er an ihm vorbei und rannte die Stufen hinab ins Freie.
    Als Hufeland auf die Treppe vor dem Haus trat, saß Minchen immer noch dort und sah der Katze nach, die Vogt wohl durch seine Eile verscheucht hatte. Er setzte sich neben sie.
    »Wie geht es dir, Minchen?«, fragte er zaghaft.
    Sie sah ihn erstaunt an. »Hat es Sie jemals interessiert?« Sie errötete wieder. Hufeland lächelte. Sie war noch so jung, trotz der neuen damenhaften Frisur beinahe ein Kind.
    »Nun ja, das hat es.«
    »Sie haben mich nicht verraten. Dafür bin ich Ihnen dankbar.« Minchen nahm seine Hand und drückte sie sachte.
    Er erwiderte den Druck. Ihre Hand war kühl und zart. Er bemerkte feine Narben, die sich in kleinen Schlangenlinien zur Unterseite der Gelenke wanden. »Wie geht es dem Kind?«
    Sie entzog ihm ihre Hand und schwieg. Starrte auf die Beine der Menschen, die an dem Haus vorbeigingen, in vielfältigen Dialekten schwatzend, einem Fuhrwerk ausweichend, das über das steinerne Pflaster holperte.
    Hufeland schwieg ebenfalls. Es ging ihn nichts an.
    »Sie denken sicher, ich habe etwas Ungebührliches getan«, flüsterte sie plötzlich. »Aber das habe ich nicht. Ich kann mir nicht erklären, wie …« Sie brach ab und starrte vor sich hin. »Ich bin jung, aber nicht dumm. Ich weiß, wie Kinder entstehen.«
    Sie schien so zerbrechlich, so hilflos. Wie gern hätte er sie in die Arme genommen, ihr gesagt, dass alles gut würde. Aber er traute sich nicht, fürchtete, sie würde die Geste missverstehen. »Magst du erzählen, was geschehen ist?«
    »Ich darf es nicht.«
    »Ein Eid?«
    Sie sah ihn überrascht an, schüttelte jedoch den Kopf. »Sie haben mir gesagt, sie würden das Haus anzünden und meine Familie umbringen, wenn ich etwas erzähle. Mit Leib und Leben, Gut und Blut.« Sie flüsterte, aber Hufeland verstand jedes Wort. Abrupt |131| stand sie auf. »Gott behüte Sie, Christoph«, sagte sie laut. »Es war nett, mit Ihnen zu plaudern.«
    Hufeland hetzte durch die Gassen zum Haus des Professor Gruner. Die Kirchturmuhr hatte bereits zehn geschlagen, er würde zu spät kommen. Am liebsten wäre er umgekehrt und hätte der Köchin die Taube zurückgebracht, die noch immer in seiner Kammer lag, doch er musste zur Vorlesung, wenn er keinen Verweis riskieren wollte.
    Außer Atem erreichte er das Gebäude, in dem die Vorlesung stattfand, und drückte vorsichtig die Türklinke hinunter.
    Als er den Raum betrat, hielt Professor Gruner in seinen Ausführungen inne, die er stets mit ausladenden Bewegungen begleitete. Seine weit ausgebreiteten Arme senkten sich langsam, und mit der großen, gebogenen Nase wirkte er wie ein Geier, der nur auf eine kleine Unaufmerksamkeit wartete, um sich auf sein Opfer zu stürzen und es mit Haut und Haaren zu verschlingen.
    »Der ehrenwerte Student glaubt, es mache nichts aus, wenn er zu spät kommt. Darf man wissen, was ihn davon abgehalten hat, uns beizeiten zu beehren?«
    Hufeland schoss die Röte ins Gesicht. »Ich bitte sehr zu entschuldigen, aber ich war in ein Experiment vertieft und hatte die Zeit vergessen.«
    »Ein Experiment, sieh an. So will der Herr Student uns demnächst als Professor seine Aufwartung machen?«
    Die anwesenden Studenten lachten. Professor Gruner war bekannt für seinen Sarkasmus, er war ein verschrobener Mann, der sich nur allzu gern Wortgefechte lieferte. Wollte man nicht Ziel seiner Tiraden werden, verhielt man sich möglichst unauffällig. Also ignorierte Hufeland die Bemerkung, sah sich nach einem freien Platz um und entdeckte Vogt, der seine Nase tief in ein Buch steckte.
    »Darf man wissen, um welch interessante Materie sich die Experimente drehen?«, setzte Gruner nach.
    »Um den Nutzen der

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