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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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auseinandergerissen und auf dem Boden verstreut. Die Schubladen hatten nur Augustes Leidenschaft für Puderdosen, Bleichcremes und schwere Parfums enthüllt, dazu düstere Briefe, geschrieben mit dunkelroter Tinte.
    Helene war davon überzeugt gewesen, das Dokument hier zu finden, an dem Ort, an dem Auguste sich Tag und Nacht aufhielt. Dem Ort, an dem sie ihre Schätze in Regalen und Schränkchen hortete. Nun stand sie noch immer mit leeren Händen da.
    Das Trommeln des Regens schreckte sie auf, erstaunt sah sie zum Fenster. In der Ferne zuckte ein Blitz. Sie hatte das Unwetter nicht nahen hören, wie lange war sie schon in die Suche vertieft? Das Ziffernblatt der Standuhr zeigte, dass es bereits früher Nachmittag war. Sie musste sich beeilen und hoffte, die Damen hätten in einem der feinen Restaurants Zuflucht gesucht, um ihre Gespräche im Trockenen fortzusetzen.
    Helene seufzte. Sie hatte überall nachgesehen, sogar unter der Matratze im Alkoven. Sie hatte Schmuck entdeckt, Broschen, Ketten und Armreifen, auch ein wenig Geld. Aber das Dokument blieb |123| unauffindbar. Ach, war es wirklich so wichtig? Kamen nicht auch Strauchdiebe und Wilderer von einem Ort zum anderen? Ein mutiger Gedanke, doch wenig tröstlich. Sie wusste es besser. Für ein Leben abseits der großen Straßen war sie nicht geschaffen, doch es schien, als bliebe ihr keine Wahl.
    In ihrer Not beschloss sie, einen massiv gearbeiteten Armreif mit silberner Auflage in Blütenform einzustecken und ihn später gegen Geld zu tauschen, dazu die drei Taler und zwanzig Groschen, die sie zwischen den Unterröcken gefunden hatte. Dann ließ sie ihren Blick noch einmal durch den Raum schweifen. Die Puppen, die Auguste auf dem Tafelklavier drapiert hatte, starrten sie an, schienen sie in ihrer Unbeweglichkeit zu verhöhnen.
    Sie schluckte die aufsteigenden Tränen, als ihr Blick auf die gegenüberliegende Wand fiel. Nein, eine Stelle hatte sie nicht untersucht. An der Wand oberhalb des Klaviers hing ein Kupferstich, eine Madonna nach Raphael, auf dickes Büttenpapier gebannt. Sie nahm das Bild ab und drehte es um. Da war es. Das Dokument mit ihrem Namen, ihr Pass. Nun musste sie rasch hinaus, bevor Auguste von ihrem Ausflug zurückkehrte. Enttäuscht musste sie sich eingestehen, dass die Suche zu viel Zeit eingenommen hatte, nun würde sie nicht mehr zu Sprugasci gehen können.
    Ein plötzliches Knarren ließ sie herumfahren. In der Tür stand Auguste, mit vor Entsetzen geweitetem Mund. Das Wasser tropfte von ihrem Hut, eine der Straußenfedern war in der Mitte geknickt und hing nun herab wie der Flügel eines lahmen Vogels.
    »Was hast du hier angerichtet …«, brüllte sie und stürmte mit einer plötzlichen Bewegung auf sie zu, die rechte Hand zum Schlag erhoben. Helene schrie auf, stolperte rücklings ans Klavier, dabei fiel der Pass auf den Teppich aus Briefen und Puderdosen. Der Schlag traf sie unterm Auge, riss sie herum. Ein weiterer folgte, Helene schmeckte Blut.
    Weg, dachte sie panisch, während Auguste sie schreiend gegen das Klavier drückte, nur weg.
    Sie griff hinter sich, bekam eine der porzellanköpfigen Puppen zu fassen. Mit ohnmächtiger Wut schlug sie zu. Der harte Kopf |124| zersprang an Augustes Stirn. Krachend fiel die Angreiferin zu Boden.
    Augenblicklich hob Helene Pass und Reisetasche auf und stürzte hinaus.
     
    Als die Herren der Sicherheitspolizei nur wenig später den Vorgang aufnahmen und sich Namen und Beschreibung der jungen Täterin notierten, waren sie sich sicher, eine skrupellose Person verfolgen zu müssen, die nicht nur Schmuck und Geld entwendet und die Wohnung in ein Schlachtfeld verwandelt hatte, sondern aufgrund der massiven Verletzungen des Opfers auch als gefährlich einzustufen sei. Wenngleich sich ihr Mitleid mit Auguste von Rückertshofen in Grenzen hielt.
    »Wenn Sie dieses unverschämte Luder nicht finden, dann werde ich mich beim Polizeikommissar persönlich beschweren«, keifte diese, während ihr der ebenfalls anwesende Arzt das blutdurchtränkte Tuch von der Stirn nahm. »Sie sollten wissen, dass er ein enger Freund von mir ist.«
    Und so versprachen sie, alles Menschenmögliche zu tun und sogleich die Zollstellen von dem Vorfall zu informieren, bevor sie die Wohnung der noch immer zeternden Dame verließen.

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JENA
30. BIS 31. OKTOBER 1780
    Die Taube zuckte, öffnete beständig den Schnabel. Noch wenige Minuten zuvor hatte die Köchin sie ins Haus geholt und in einen Bottich heißen Wassers

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