Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Wispern.
»Das hatte etwas mit mir zu tun. Nur mit mir.« Er nahm ihre Hand, sah sie besorgt an. Dann, als sei er sich nun gewiss, dass es ihr gut ging, lächelte er sanft. »Ich werde Sie nicht mehr allein lassen, Helene, das verspreche ich Ihnen.«
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WEIMAR
10. NOVEMBER 1780
Als Hufeland erwachte, dauerte es eine Weile, bis er begriff, dass seine Heimkehr kein Traum gewesen war und dass er im Bett seines Elternhauses lag, als wäre er nie fort gewesen.
Die aufgehende Sonne schien durch das Fenster und kündete von einem herrlichen Tag. Alles Trübe, alles Schwere schien mit einem Male verschwunden. Die Last der vergangenen Wochen war wie durch Zauberhand von ihm genommen.
Vom Flur erklang ein Rufen: »Nein, Fritzchen, lass ihn schlafen.« Und noch im selben Augenblick flog die Tür auf, herein kam der sechsjährige Friedrich, sprang lachend auf das Bett und schien keine Scheu vor dem jungen Mann zu haben, zu dem Hufeland in den wenigen Monaten der Abwesenheit gereift war.
»Fritzchen«, freute sich Hufeland und drückte seinen kleinen Bruder an sich. »Wie hab ich dich vermisst!« Er vergrub sein Gesicht in den Haaren des Jungen und weinte beinahe vor Glück. Nie, nein, niemals hätte er, als die Kutsche Jena verließ, gedacht, dass es so eine Freude sein könnte, nach Hause zu kommen.
Ein wenig lag das wohl auch an der melancholischen Stimmung des Vaters, als er seinen ältesten Sohn am Abend der Ankunft in die Arme schloss. Wenn sein Vater schwermütig war, schien er ein ganz anderer, sanftmütig, in sich gekehrt. Alle Strenge war mit einem Mal verschwunden. Doch so liebevoll er sich in solchen Stunden zeigen konnte, so furchtbar war in anderen sein Zorn. Das Glück, das Hufeland nun empfand, konnte durch eine unbegreifliche Veränderung des Gemütszustandes ein jähes Ende finden, aber daran wollte er in diesem Moment, da er von Wiedersehensfreude beseelt war, nicht denken.
|202| »Hast du gut geschlafen, mein Junge?« Die Mutter stand an die Tür gelehnt und lächelte.
Statt einer Antwort schwang Hufeland sich aus dem Bett und eilte ihr entgegen. »Guten Morgen, Mutter«, rief er übermütig und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Wo ist Vater?«
»Möchtest du nicht zuallererst frühstücken?«
»Nein, liebste Mutter. Zuerst möchte ich die ganze Welt umarmen.«
Er fand den Vater hinter seinem Schreibtisch, mit dem Rücken zur Tür. Tief über ein Buch gebeugt, in der Hand ein Vergrößerungsglas. Neben ihm stapelten sich Krankenakten, mit denen er sich auf den zweiten Teil seines bereits vor Sonnenaufgang begonnenen Arbeitstages vorbereitete.
Christoph rührte sich nicht, beobachtete in einer plötzlichen Befangenheit, wie sein Vater sich bemühte, die Schrift zu entziffern. War es erst wenige Monate her, dass er ihn zuletzt gesehen hatte? Er kam ihm alt vor, von der vielen Arbeit verbraucht, beinahe ein Greis. Dabei war er in diesem Jahr erst fünfzig geworden.
»Guten Morgen, Vater.«
Johann Friedrich Hufeland, herzoglicher Leibmedicus zu Weimar, sah erstaunt auf und drehte sich um. »Guten Morgen?« Er blickte auf die Uhr. »Wahrlich, dein Studium scheint dich verdorben zu haben.«
Er erhob sich schwerfällig, stützte sich kurz am Tisch, dann ging er seinem Sohn entgegen. »Du kommst gerade recht. Mein Weg führt mich heute nach Krautheim. Ein Pächter hat mir einen Wagen geschickt, seiner erkrankten Tochter zu helfen. Sie leidet bereits seit Tagen an Durchfall, doch ich vermute ein anderes Übel als die Ruhr. Bevor wir aufbrechen, müssen noch Pillen aus dem Kraut des Wurmfarns gefertigt werden, dabei wirst du mir helfen.« Sein Blick wanderte an Hufelands Nachthemd entlang bis zu den bloßen Füßen. Verwundert setzte er sich eine dickglasige Brille auf und schüttelte dann den Kopf. »Aber zuerst ziehst du dir etwas Anständiges an.« |203| Den ganzen Morgen über war der Grund seiner Rückkehr nicht zur Sprache gekommen. Hufeland hatte seinem Vater bei der Zubereitung der Arzneimittel geholfen und dabei festgestellt, dass dessen Augen noch schlechter waren als gedacht. Beim frühen Mittagstisch hatte er endlich seine drei jüngeren Schwestern in die Arme geschlossen: Dorothea Friederica, Victoria Sophia und Dorothea Amalia, dann hatte der Vater zum raschen Aufbruch gedrängt, damit sie noch vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein konnten.
Die Fahrt verlief schweigsam. Schließlich aber, als sie Weimar hinter sich gelassen hatten, hielt Hufeland es nicht mehr aus.
»Sind
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