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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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der |198| Richtung kam, wo das Gasthaus
Zur Tanne
lag. Dort würde sie sich unter die Menschen mischen, in der feiernden Menge untertauchen. Keuchend lief sie durch das Gestrüpp, die Arme schützend vor dem Gesicht, bis sie seitlich des Gasthauses aus dem Dickicht brach. Durch die beschlagenen Butzenscheiben konnte sie einen Musiker sehen, der auf einer verstimmten Violine zum Tanz aufspielte. Die Mädchen hatten ihr Haar gelockert, ließen es mit der Bewegung auf und ab wippen, trugen den Atem der Verruchtheit, als sei es ein harmloses Parfum.
    Direkt unter dem Fenster saß eine trunkene Schar, aus deren Kehlen
Des Sommers letzte Rose
erklang, intoniert mit gequälter Sentimentalität. Einer von ihnen bemerkte sie, stand auf und winkte ihr zu.
    Helene schnellte zurück. Hinter ihr knirschten Schritte auf dem steinigen Boden, also eilte sie zum Eingang und trat ein. Stickige Luft hüllte sie ein, es roch nach Bier, fetter Wurst und Schweiß. Auf einem Tisch tanzte eine Frau mit gerafftem Rock und sich wiegenden nackten Schenkeln, umgeben von Burschen, die sie anfeuerten, teils lüstern, teils verschämt, um einen letzten Rest von Anstand bemüht.
    Unschlüssig blieb Helene an der Tür stehen, als sie Vogt entdeckte. Er saß in einer kleinen Gruppe Studenten, die heftig zu diskutieren schienen. Gerade als sie überlegte, ob sie sich ihm bemerkbar machen sollte, sprang einer von ihnen auf und griff nach seinem Degen. Vogt lachte verächtlich, was den anderen nur noch wütender machte.
    Eine Bedienung kam heran und beendete den Streit, indem sie mehrere Humpen auf den Tisch stellte. Die Aussicht auf frisches Bier entspannte die Situation augenblicklich. Vogt grinste die Frau an, sagte ein paar Worte, und als sie ihm mit einem anzüglichen Lächeln in die Wange kniff, folgte er ihr unter dem Applaus der anderen in die hinteren Räume.
    Hinter ihr wurde die Tür geöffnet und im selben Augenblick spürte Helene einen warmen Atem an ihrem Nacken. »Hast du geglaubt, ich würde dich hier nicht finden?«
    |199| Sie wirbelte herum. Vor ihr stand ein Mann in schwarzem Mantel, die Kapuze auf dem Rücken. Sie erkannte in ihm den hageren Burschen, der sie am Nachmittag so höhnisch verlacht hatte, Martin Ebeling! Sie schrie auf. Seine Hand presste sich auf ihren Mund, drückte zu, bis ihr die Tränen in die Augen schossen.
    »Was hattest du im großen Saal zu suchen?«
    Niemand schien Helenes Bedrängnis zu bemerken, und wer es tat, der wandte den Blick ab. Während sie sich im eisernen Griff ihres Peinigers wand, spielte die Musik in munterem Rausch, riefen die Burschen nach frischem Bier. Mit aller Kraft stieß sie ihr Knie zwischen seine Beine, so dass Martin aufstöhnte und seine Umklammerung lockerte. Sie riss sich los und lief hinaus in die Nacht.
    Sie kam nicht weit. Kaum war sie über der Schwelle, da stolperte sie über das viel zu lange Kleid. Ebeling stürzte heran, packte sie und presste sie hart gegen die kalte Mauer des Gasthofs. »Was hast du gesehen?« Sie wand sich, sofort fuhr seine Hand an ihre Kehle und drückte unerbittlich zu.
    Helene würgte und vermochte nur ein Wort herauszupressen: »Nichts.«
    »Unsinn. Los, Mädchen, sag, was du gesehen hast!«
    Seine Hand drückte fester zu. Helene begann zu husten, doch je mehr sie hustete, desto härter wurde der Griff, bis sie schließlich ihren Widerstand aufgab und ihre Kraft aus dem Körper entweichen fühlte.
    Plötzlich löste sich die Hand. Ebeling schrie gellend auf und fiel rücklings zu Boden. Helene rang keuchend nach Luft. Ihre Beine gaben nach, und während sie an der Mauer auf den morastigen Waldboden heruntersank, sah sie Vogt, der ihrem Angreifer wieder und wieder ins Gesicht schlug.
    »Sie war im großen Saal«, wimmerte der und hielt abwehrend die Hände vor seinen Körper. Das Blut lief ihm über das Antlitz, unter dem Auge klaffte ein tiefer Riss. Doch Vogt hielt nicht inne. Prügelte weiter auf den Mann ein und stieß ihm seinen Fuß in den Bauch, bis das Blut auch aus dem Mund quoll.
    »Erspar mir die Erklärung, Ebeling«, brüllte Vogt und trat einen |200| Schritt zurück, die Faust erhoben. »Ich habe es dir gesagt: Rühr sie nicht an. Sie steht unter meinem Schutz.«
    Er sah dem Hageren nach, der sich stolpernd davonmachte, kniete sich neben sie und strich ihr über die Wange, rief flüsternd ihren Namen. »Helene.«
    »Ja.«
    »Es tut mir leid, ich hätte das verhindern müssen.«
    »Warum hat er das getan?« Es war nur ein

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