Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Sie mir böse?«
Sein Vater antwortete nicht sofort. Dann sah er ihn von der Seite an. »Wenn ich dem Hannchen glauben darf, so hast du dich in diesem Sündenpfuhl recht wacker geschlagen und dich so gut als möglich auf deine Studien konzentriert.«
Hufeland senkte den Kopf. »Das habe ich versucht, Vater.«
»Dennoch hätte ich mir von dir mehr Mannhaftigkeit erhofft. Der Herzog hat sich der Universität mit besonderer Aufmerksamkeit zugewandt, um ihr durch Berufung bedeutender Lehrkräfte neuen Aufschwung zu geben. Loder, Gruner, Griesbach, sie alle sind angetreten, der ehrwürdigen Universität zu neuem Glanz zu verhelfen, ebenso wie dein Schwager Ernst. Sie alle hätten das Zeug, aus dir einen wissenschaftlich denkenden, ja einen großen Mann zu machen und dich endgültig von deinen Flausen zu heilen, Schauspieler werden zu wollen oder Schriftsteller.«
»Das ist Jahre her.« Hufeland errötete. Trotz des ernsten Tonfalls war ihm die Güte in den Worten des Vaters nicht entgangen, und er hob verwundert den Kopf.
»Ich habe gehört, dass man dein Leben bedrohte«, fuhr sein Vater leise fort, »und selbst wenn ich es kaum zu glauben vermag, so sehe ich ein, dass es besser ist, dich in Göttingen studieren zu lassen, wo ein Geist herrscht, der in den Studierenden Fleiß und Anstand befördert. Die medizinische Fakultät der Stadt ist eine der besten. Zu Ostern wirst du dort dein Studium fortsetzen, solange |204| gehst du mir hier zur Hand.« Der letzte Satz klang streng und gewohnt scharf.
Hufeland sah zu den vereinzelten Gehöften, an denen sie nun vorbeifuhren, bevor sie wieder in den Wald eintauchten. Die Wintersonne blinzelte durch das kahle Geäst der Bäume. All das würde in wenigen Jahren zu seinem Alltag gehören. Der Patientenkreis seines Vaters war groß, von der Fürstenfamilie bis hin zu den ärmsten Bauern. Das Gebiet der Praxis war eines der größten des Landes, erstreckte sich von Weimar bis weit hinaus ins Land, jenseits des Ettersberges bis zum Beginn des Harzes.
Eine Stunde Fahrt lag noch vor ihnen, und Hufeland schloss die Augen. Mehr als einmal geriet die Kutsche im morastigen Boden ins Schlingern, je weiter sie kamen, desto schlechter wurden die Wege. Endlich war die mächtige Burg zu sehen, hoch über der Hohenloher Ebene thronend, in die die Windungen der Jagst tiefe Furchen gegraben hatte.
Das Zimmer, in dem das kranke Mädchen untergebracht war, roch nach Seife und frischer Luft, was den alten Hufeland zu einem anerkennenden Nicken verleitete.
»Sie hat noch immer Durchfall, in der Nacht hat sie zu fiebern begonnen«, erläuterte die Mutter, die neben dem Kind auf dem Bett saß und respektvoll zum Arzt hinaufblickte.
Nach einer ausführlichen Untersuchung bestätigte der alte Hufeland seinen anfänglichen Verdacht: Der Durchfall sei Folge eines Wurmbefalls und das schleichende Fieber nur Zeuge jener Reizung der Gedärme, die es nun zu beseitigen gälte. Man müsse alle gegorenen Getränke von dem Kinde fernhalten, selbst wenn es diese verlange, ansonsten könne man den Durchfall nicht stoppen.
»Denn«, warnte er streng, »alles Süße würde die Ursache der Erkrankung nur noch verstärken.«
Er verabreichte die frisch zubereiteten Pillen und gab der Mutter einen Trank, den das Kind am Abend löffelweise einnehmen solle, um die vom Kraut geschwächten Würmer auszutreiben; dazu verschrieb er Kampfer-Umschläge auf die Bauchdecke. Selbstverständlich |205| sei die Diät weiter einzuhalten. Ferner müsse das Wasser, das man für Getränke und Suppen verwende, abgekochtes Quecksilberwasser sein. Würmer seien hartnäckig, fügte er noch beruhigend hinzu, aber man solle nicht verzweifeln, irgendwann habe man sie vertrieben.
Die Mutter bedankte sich überschwänglich und versprach, ihm alsbald von den Fortschritten zu berichten.
Sie hatten gerade das Haus verlassen, als sich ihnen eine Magd unter tiefen Verbeugungen in den Weg stellte.
»Ich bitte um Verzeihung«, stammelte sie, während sie ihren absonderlichen Reigen von Verbeugungen fortführte. »Aber ich habe gesehen, wie gut es dem Mädchen geht, seit es von Ihnen behandelt wird, und mein Junge …« Sie stockte und brach in Tränen aus. »Wir beten Tag und Nacht für sein Wohlergehen, aber ich fürchte, er wird sterben«, brach es schließlich aus ihr hervor, und sie warf sich zu Boden und begann, dem Arzt die Füße zu küssen.
Der alte Hufeland zögerte keinen Augenblick. Er bat sie, aufzustehen. »Wo ist
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