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Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
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Romantikkitsch à la Werther, ausgerechnet in Verona? Ausgerechnet nach zwei Uhr nachts?
    Na ja, egal!

65
    Frühmorgens am zweiten Weihnachtsfeiertag verstopften erschreckend viele Gepäckstücke den Flur. Du überliest Selvaggia sich selbst, damit sie ihre letzten Sachen packen – und sich nach William, dem Kätzchen, verzehren konnte, das sie für fünf, sechs Tage bei ihrer Freundin Martina gelassen hatte. Beschwingt liefst du hinunter in die Küche, wo bereits das Frühstück wartete.
    Das Programm eures Vaters sah vor, dass ihr bis zum dreißigsten in den Bergen bleiben würdet, um dann Silvester in Verona zu feiern, da eure Erzeuger mit Freunden verabredet waren. Deshalb hattest du sofort eigene Pläne geschmiedet, die du vorläufig niemandem verrietst – nicht einmal Selvaggia, die dich schon jetzt mit Fragen bestürmte, weil Silvester vor der Tür stand und noch nichts organsiert war.
    Der Tag versprach wunderschön zu werden. Die Luft war so klar, dass du deinen Kaffee im Stehen draußen im Garten trankst, ein paar Meter von der angelehnten Haustür entfernt, während euer Vater zum drittletzten Mal die Koffer kontrollierte. Angesichts der Vorfreude des sonst so gewissenhaften, gelassenen Fünfundvierzigjährigen konntest du dir ein Lächeln kaum verkneifen – weißt du noch?
    Â»Eigentlich müsste es genau umgekehrt sein«, sagte dein Vater, als er dich im Garten entdeckte. »Du solltest dich um das Gepäck kümmern, während ich in Ruhe Kaffee trinke!«
    Â»Ich helfe dir gleich«, sagtest du, ohne ihn anzusehen.
    Â»Nein«, erwiderte er. »Noch fünf Minuten! Wir warten nur noch auf Mamas Okay, dann können wir die Hälfte unseres Haushalts im Wagen verstauen.«
    Als euer Vater den Audi anließ, musste Selvaggia noch ihren gebutterten Marmeladentoast aufessen. Allerdings im Auto, da ihr schon furchtbar spät dran wart, wie eure Mutter euch vor dem heruntergelassenen Fenster wieder in Erinnerung rief. Anscheinend war es für eure Erzeuger unverzichtbar, spätestens mittags am Reiseziel zu sein.
    Die Fahrt begann mit einem klaren, wolkenlosen Himmel, an dem die Dezembersonne stand. Sie erinnerte an eine riesige Pupille, die lange über euch wachte, bis die Landschaft sich vor dem Fenster veränderte und die Zivilisation einer einsamen Natur Platz machte, in der vor allem dich eine unverhoffte Ruhe überkam.
    Später nahm die Kälte trotz aufgedrehter Autoheizung zu, und die Berge wurden immer majestätischer, je näher ihr eurem Ziel kamt. Während du auf Selvaggias MP-3-Player Musik hörtest (sie selbst hatte die Augen geschlossen und döste friedlich vor sich hin), betrachtetest du die allgegenwärtigen Berge, diese in grauer Vorzeit entstandenen Kolosse, die dich nicht im Geringsten beunruhigten, sondern dir ein Gefühl von Sicherheit gaben. So als gewährten sie Selvaggia und dir Schutz und könnten euch vor sämtlichen Widrigkeiten bewahren.

66
    Euer Hotel lag mitten im Zentrum von Pieve di Cadore und machte von der Straße her keinen besonders großen Eindruck. Doch kaum hattet ihr es betreten, zeigte sich, dass es eine äußerst geräumige Lobby hatte, in der du auf Anhieb schöne klassische Säulen entdecktest, einen flauschigen dunkelblauen Teppichboden, der sämtliche Geräusche schluckte, eine angemessene Anzahl goldgerahmter Spiegel, die die großen, symmetrisch zur Wand stehenden Sofas in ein noch besseres Licht rückten, und eine Glasschiebetür, die den Flur zierte.
    Doch trotz dieser Hotelannehmlichkeiten beschäftigten dich seit geraumer Zeit ganz andere Fragen, die schon bald einer ziemlichen Wut weichen sollten, nämlich als der Portier die Schlüssel zu euren jeweiligen Zimmern auf den weißen Marmortresen legte. Es waren nicht etwa zwei Paar wie erhofft, sondern drei: Selvaggia und ihr wart also getrennt worden und konntet euch nicht mehr dagegen wehren, da eure Eltern das bereits bei der Reservierung so beschlossen hatten – wohl wissend, dass sich jetzt nichts mehr umbuchen ließ. Jedenfalls warf dir Selvaggia einen halb beunruhigten, halb enttäuschten Blick zu, den du lieber nicht erwidertest.
    Selbstverständlich würde euch die Tatsache, auf zwei verschiedene Zimmer verteilt worden zu sein, nicht davon abhalten, zusammen zu sein: Du würdest auf jeden Fall bei ihr im Zimmer schlafen und dann

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