Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
Vom Netzwerk:
Selvaggia blieb: Anschließend würde sie einen neuen Freund haben, jede Menge neue Freundinnen um sich scharen und dich in die Ecke verbannen. Dabei hättest du dich, durchgeknallt wie du warst, längst dort aufhalten müssen: Schließlich warst du ihr Zwillingsbruder, was in deinen Betonkopf allerdings einfach nicht hineinwollte.
    Das Essen nahm seinen Lauf, und die Erzeugerfraktion redete und lachte, ohne auch nur das Geringste zu bemerken.
    Du spürtest, wie Selvaggia dich ansah, und sofort waren die Lichter des Restaurants, die Gespräche der Gäste, der Duft der Speisen verschwunden. Sie wurden von allen möglichen Gefühlen verdrängt, zumindest solange du dich in ihrem Gesichtsfeld befandst, von ihrem Blick verfolgt wurdest: Du warst ihr nah genug, um davon getroffen zu werden, aber weit genug weg, um dich hinter der Karaffe mit dem Mineralwasser und der beschlagenen Flasche Chardonnay verschanzen zu können. Dann berührte dich irgendwas am Bein, und du merktest, dass es ihr Fuß beziehungsweise der Absatz ihres Schuhs war, der Druck auf deinen Knöchel ausübte. Abrupt zogst du das Bein weg: In diesem Moment war Selvaggia für dich einfach nur noch plemplem. Aber als du merktest, dass sie dich nicht einmal ansah, glaubtest du, dich geirrt zu haben, und verschwendetest keinen Gedanken mehr daran, bis du erneut diesen Druck spürtest, der diesmal von ihrer Schuhspitze auszugehen schien. Daraufhin warfst du deiner Schwester einen vernichtenden Blick zu, den sie mit einem Lächeln und ihrer hinterhältigen Miene Nummer fünf quittierte.
    Du verstandst sie einfach nicht, und das machte dich beinahe wahnsinnig.
    Du zögertest. Dann sagtest du dir, dass es schließlich kein Verbrechen war, wenn du ihre Einladung erwidertest. Deshalb suchtest du mit dem Fuß nach ihrem Knöchel, glaubtest schon, ihn gefunden zu haben, stießt aber dummerweise nur auf ein Hindernis, das eindeutig nicht Selvaggia war. Daraufhin drehte sich eure Mutter mit weit aufgerissenen Augen zu dir um und sah dich entsetzt an. Sofort zogst du den Fuß zurück und fragtest dich, ob du deine Mutter belästigt hattest. Als Reaktion darauf wurde Papas seliges Lächeln vom Hauch eines Zweifels, ja, von so etwas wie Verstörung überschattet. Daraufhin zucktest du zusammen und fragtest dich, ob sie da etwa miteinander füßelten! Dem rot anlaufenden Gesicht deines Vaters konntest du entnehmen, wie bestürzt eure Eltern waren, gleichzeitig begriffst du, dass du es mit einem extrem peinlichen Fall von pes interruptus zu tun hattest. Also blieb dir nicht anderes übrig, als den Blick abzuwenden und laut zu schlucken.
    Du verfluchtest dich. Du verfluchtest dich und den Abend. Weil jetzt alles so absurd und bescheuert war und gleichzeitig – Achtung, Auge an Gehirn! – so aufregend .
    Eine peinliche Stille trat ein. Dein Vater bekam langsam Verfolgungswahn und wusste nicht mehr, was er machen sollte, während eure Mutter nervös hüstelte und sich zusammenriss. Sie wagte erneut einen ermüdenden Gesprächsvorstoß.
    Selvaggia beobachtete die Szene mit undurchdringlicher Miene. Du beließt es dabei, eure Mutter schüchtern anzulächeln, als wolltest du sie um Entschuldigung bitten.
    Als eure Eltern das Gespräch schließlich wiederaufnahmen, begannst du die Lage zu erkunden, weil du dir sowohl im eigentlichen wie auch im übertragenen Sinne Beinfreiheit verschaffen wolltest. Du gingst davon aus, dass die beiden auf weitere gewagte Aktionen unterm Tisch verzichteten, und mach test dich erneut auf die Suche nach Selvaggias Knöcheln. Aber die falsche Schlange behielt jetzt die Füße unterm Stuhl und spielte das Unschuldslamm. Vielleicht genoss sie es auch einfach, dich auf die Folter zu spannen. Nach einer Weile versuchtest du es noch einmal, fandst ihren Knöchel und berührtest ihn mit der Fußspitze, was dich sofort erregte. Doch sie zog ihn wie von der Tarantel gestochen zurück. Irgendwann hieltst du es nicht mehr aus, und noch vor dem Dessert sprangst du abrupt auf: das reinste Nervenbündel. Dann verabschiedetest du dich unter dem Vorwand, kurz frische Luft schnappen zu wollen, und gingst mit schnellen Schritten hinaus.
    Kaum warst du im Freien, zündetest du dir am Funkenregen des alten Cartier-Feuerzeugs gedankenverloren eine Zigarette an. Nahmst einen ersten Zug und schlugst die Hände vor die Augen. Du versuchtest,

Weitere Kostenlose Bücher