Die Alchemie der Naehe

werden bei der Vorstellung, dass sie dich ignorierte und ihre Zeit lieber mit ande ren verbrachte. Bis du irgendwann nur noch Luft für sie wärst – so gut kanntest du sie inzwischen.
    Du hattest sie glücklich machen wollen und eingewilligt, Rom zu verlassen, das sie nach den ersten wunderschönen Tagen so traurig gestimmt hatte. Das war das Einzige, was deine Laune hob und dich fast ein bisschen stolz auf dich machte. Und dann sagtest du dir, dass es nichts brachte, sich schon im Vorfeld völlig verrückt zu machen. Stimmt doch, oder?

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    Da drüben standen Selvaggia und diese Agnese, umarmten sich, küssten sich auf die Wangen und redeten rasend schnell aufeinander ein. Und hier standst du, vielleicht drei Schritte von ihnen entfernt, stecktest dir eine zweite Camel light an und warst schon nervös und eifersüchtig. Ob sie mit einem Jungen oder Mädchen sprach, war dabei fast schon egal: Du warst so oder so eifersüchtig, denn nur du hattest es verdient, das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit und ihres Glücks zu sein. Stattdessen standst du abseits und warst neidisch, weil Sel vaggia ihre stinkreiche Freundin förmlich mit Zuneigung über schüttete. Und schon hattest du etwas gegen diese Agnese – nur weil Selvaggia sie so innig umarmt hatte. Du wurdest ganz nervös bei der Vorstellung, dass du bald ausrasten und ihr eine Mordsszene machen könntest, woraufhin dich alle für einen ultraeifersüchtigen Freak halten würden.
    Na gut, sagtest du dir. Vielleicht war da durchaus was dran. Deshalb legtest du zur Abwechslung mal eine ganz neue Platte auf – so nach dem Motto »Aus den Augen, aus dem Sinn«, indem du dich umdrehtest und aufs Meer hinaussahst. An diesem warmen Tag wurde das Wasser von einem leichten, lauen Wind zu feinen, zarten, winzigen Wellen gekräuselt, während die Sonne der Oberfläche eine funkelnde Weite verlieh.
    Der Hafen war eine ganz neue Welt für dich, und weil dir das dortige Treiben fremd war, lehntest du dich an die Reling der Jacht und versuchtest ihm so viele Informationen wie möglich abzutrotzen – und sei es nur, um dich vor Selvaggia nicht zu blamieren, die sich hier bestimmt auskannte. Der Blindfisch wollte nämlich auf keinen Fall völlig ahnungslos dastehen.
    Die Jacht von dieser Agnese hatte einen Liegeplatz mit herrlicher Aussicht. Vom Bug aus hattest du einen tollen Blick aufs offene Meer, vom Heck aus hingegen aufs Aquarium und die von Renzo Piano entworfene Glaskugel. Wenn es hier jemanden gab, der nicht die geringste Ahnung von Architektur hatte, dann du, was dich allerdings nicht davon abhielt, dieses Prunkstück aus Glas und Stahl zu würdigen, das in der Sonne funkelte und sich wie eine überirdische Erscheinung vom übrigen Hafen abhob.
    Ein Frachter legte gerade ab, während in fünfhundert Metern Entfernung ein riesiges Kreuzfahrtschiff festmachte. Während der Manöver der beiden Kolosse kamen Selvaggia und ihre Freundin Agnese auf dich zu. »Das ist Johnny«, sagte Selvaggia. Agnese gab dir die Hand, und du erwidertest ihren Händedruck, auch wenn du keine große Lust auf ihre Bekanntschaft hattest. Das schien Agnese nicht entgangen zu sein, weshalb ihr euch reichlich kühl mustertet.
    Â»Mein Freund«, fügte Selvaggia hinzu und ließ dich zusammenzucken. Du sahst sie lange an, und die Verblüffung stand dir bestimmt ins Gesicht geschrieben. Gleich darauf überfiel dich Traurigkeit, bevor dich eine Glückswelle überschwemmte. Blitzschnell durchlebtest du drei völlig verschiedene Gefühle direkt hintereinander: So etwas war dir noch nie passiert. Nach dem ersten Erstaunen überschattete eindeutig Verzweiflung dein Gesicht: Warum gab sie dich als ihren Freund aus, wo du doch ihr Bruder warst? Vielleicht damit sich niemand abgestoßen fühlte, der euch beim Austausch von Zärtlichkeiten ertappte? Oder weil Selvaggia beschlossen hatte, an den zwei Tagen, an denen du dort neu warst und in den Augen der anderen alles sein konntest, was sie wollte, einen Traum zu leben oder eine dreiste Lüge, die ihr nicht das Geringste ausmachte? Und selbst wenn, würdest du es niemals erfahren. Fest stand nur, dass du jetzt aufgrund ihrer Entscheidung Selvaggias neuer Freund warst, und das hattest du zu akzeptieren. Andererseits war es ja nicht so, dass dir die Vorstellung missfiel – im Gegenteil! Sie gefiel dir sogar sehr, und so kam