Die Alchemie der Naehe
es, dass die Gedanken, die du dir bei eurer Ankunft gemacht hattest, bereits viel von ihrem Schrecken verloren. Es war ein Fehler gewesen, dass du mal wieder nichts als Pessimismus verbreitet, alles Schöne kaputt gemacht hattest â und das nur wegen irgendwelcher blöder Unterstellungen! Deshalb sagtest du dir: Ach, Giovanni, warum musst du immer davon ausgehen, dass es schiefgeht? Genieà dein Leben, statt über Katastrophen zu jammern, die dann doch nie eintreten!
Genau! Du brauchtest nur an schöne Dinge zu denken, um sie wahr werden zu lassen. Deshalb stelltest du dir vor, dass ihr am Meer, in einer Diskothek, beim Einkaufen, auf einer Party mit ihren Freunden sein ⦠und Sex auf einer Siebzigmeterjacht haben würdet.
Kaum war es Abend, war dein Optimismus schon wieder zerplatzt wie eine Seifenblase. Selvaggia saà natürlich mit Agnese in einer Sitzgruppe am Bug und redete ohne Punkt und Komma über Gott weià was, während du sie am liebsten belauscht hättest, dir das aus Höflichkeitsgründen jedoch verkneifen musstest und deshalb bloà in der Gazzetta dello Sport last und Camel lights rauchtest.
Damit war bereits ein Tag völlig sinnlos in den Weiten des Cyberspace verpufft.
Du zwangst dich, gelassen zu bleiben, sagtest dir, dass Selvaggia nur versuchte, sich wieder einzuleben, und Agnese von ihrem neuen Leben in Verona erzählte, was völlig normal war. Du musst ihr Zeit lassen, ermahntest du dich und vertieftest dich erneut in Muskelzerrungen in der Serie A, in Trainerentlassungen und dem milliardenschweren Zukauf eines schwedischen Stürmers.
»Danke, dass du mir diesen wunderbaren Tag gegönnt hast, Johnny Johnny!«, sagte eine hochzufriedene Selvaggia, als sie zu dir in die Kabine kam. Du saÃt mit dem Rücken zur Tür und sahst zu, wie sie sich für die Nacht fertig machte und dann ins Bett ging. Denn nachdem Agnese euch die Doppelkabine überlassen hatte, war sie nach Hause gefahren â in ihre Villa mit Meerblick, wenn du das richtig verstanden hattest, um dort zu übernachten. Agnese hatte blindes Vertrauen zu Selvaggia und verlieà sich darauf, dass ihr nichts ruinieren würdet.
Als es schlieÃlich so weit war, strecktest du dich in deiner Betthälfte aus und löschtest das Licht. Selvaggia umarmte dich, und eine Weile bliebt ihr so liegen.
»Agnese findet dich unheimlich«, flüsterte sie. »Sie sagt, du bist der Typ âºdunkler Fremderâ¹.«
Du stöhntest laut auf, amüsiert und verärgert zugleich.
Was war nicht schon alles über dich gesagt worden! Du wusstest, dass du als sympathisch, loyal, ja sogar als äuÃerst gut aussehend galtst, aber das Eigenschaftswort »unheimlich« war noch nie gefallen. Das konntest du so gar nicht auf dich beziehen. Vielleicht warst du unbewusst so geworden, nachdem du Selvaggia kennengelernt hattest. Vielleicht sah man dir den Kummer, den sie dir bereitete, schon von Weitem an. Wenigstens hatte sie euch nicht angesehen, dass ihr verwandt wart.
»Hiermit gestehe ich dir, dass ich sie morgen zu Tode erschrecken werde«, flüstertest du Selvaggia zu. Daraufhin entwand sie sich deiner Umarmung und versetzte dir einen gespielten Stoà zwischen die Rippen. »Da ist alles bloà deine Schuld«, sagte sie. »Du hast den ganzen Tag nur in dieser verdammten Sportzeitung gelesen!«
»Und du hast mich den ganzen Tag links liegen lassen.« Das war dein voller Ernst, und du spürtest, dass Unheil aufzog.
Selvaggia erwiderte nichts, woraufhin du die dreizehnte Camel light an diesem Tag aus der Packung zogst. War dir eigentlich klar, dass du inzwischen mehr oder weniger nikotinabhängig warst?
»Ich will nicht, dass du in der Kabine rauchst«, sagte sie.
Uff. Du nutztest die Gelegenheit, um zum Heck zu gehen, dich an die Reling zu lehnen und auf den kühlen Wind zu lauschen, als könnte der dir guten Rat zuwehen.
Selvaggia folgte dir, und eine Weile saht ihr zu den Sternen empor, die trotz der Lichter an Land unglaublich hell leuchteten. »Das ist doch nur der erste Tag«, sagte sie. »AuÃerdem hättest du dich mit uns unterhalten können, statt einen auf Eigenbrötler zu machen. Aber wie dem auch sei, morgen ist auch noch ein Tag, und dann verbringen wir mehr Zeit miteinander, einverstanden?« Sie kam näher, und du umarmtest sie. Das war jetzt bestimmt schon das zweihundertmillionste Mal, dass
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