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Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
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Völlig erschöpft lauschtet ihr auf euren Atem, auf eure schläfrigen Herzen.
    Â»Johnny Johnny? Los, wach auf!«, hörtest du diese Engelsstim me nach dir rufen. Wie in einem Traum, in dem dich jemand schüttelte und dich doch tatsächlich dazu bringen wollte, die Augen aufzuschlagen.
    Du musst etwas gesagt haben, während du deine Position verändert, dich auf die andere Seite gedreht hast: Was genau, weißt du nicht mehr.
    Â»Johnny?«
    In diesem Moment bist du halb tot, halb lebendig in diese Welt zurückgekehrt. Im Zimmer war es dunkel, und nur ein schwaches, künstliches Licht drang von der Straße durch die geschlossenen Fensterläden herein: Es war also Selvaggia, die nach dir rief.
    Â»Was ist denn, mein Schatz?«
    Â»Los, zieh dich an!«, erwiderte sie von der Bettkante aus.
    Â»Wie spät ist es denn?«
    Â»Drei. Los, komm schon!« Sie sprang auf und zerrte an deinem Arm.
    Â»Wieso müssen wir um drei Uhr nachts aufstehen?«
    Â»Tu mir den Gefallen …«
    Â»Ich träume«, hast du dich getröstet. »Das kann gar nicht anders sein.«
    Doch im Traum begann sie bereits, sich anzuziehen. Und das ziemlich hastig.
    Â»Komm!«, feuerte sie dich an.
    Â»Was haben wir denn vor?«
    Bald darauf standet ihr im Freien, eingehüllt vom geheimnisvollen, nächtlichen Frieden der halb verlassenen, schwach beleuchteten Straße.
    Du musstest erst zehn Minuten laufen, bis du richtig wach warst. So lange folgtest du Selvaggia gehorsam, ohne auch nur ein Wort zu verlieren.
    Der Trevi-Brunnen bei Nacht. Inmitten der riesigen, stillen Wasserfläche, deren träumerische Reflexe den Marmor beinahe zum Leben erweckten.
    Â»Bist du verrückt? Das ist verboten«, versuchtest du sie zu bremsen.
    Da drehte sie sich um und lächelte dich an. »Davon träume ich schon mein ganzes Leben.«
    Â»Wenn uns jemand sieht, wirst du verhaftet. Komm sofort da raus!«, befahlst du ihr. »Los, mach schon!«
    Â»Wegen so was kommt man doch nicht ins Gefängnis!« Sie schaute sich um.
    Genervt stöhntest du auf. »Komm da raus, ich flehe dich an!«
    Â»Alle möglichen Schauspielerinnen machen das doch auch«, sagte sie lachend und kräuselte die Wasseroberfläche mit den Händen. »Nur ich darf das nicht? Bin ich vielleicht weniger wert als eine Schauspielerin, nur weil ich nicht berühmt bin?« Sie kam zu dir und packte deine rechte Hand. Du nahmst an, dass sie den Brunnen verlassen wollte. Doch stattdessen sprang sie auf seine Umrandung und balancierte darauf herum, während du sie wie ein Lakai stützen musstest. »Das ist jetzt wirklich etwas übertrieben«, dachtest du, als stündest du neben dir. »Wenn du dich jetzt mit den nassen Sachen erkältest, pflege ich dich nicht«, riefst du laut.

38
    Es war acht Uhr abends. Du entdecktest die ersten Sterne am Himmel. Im Westen schickte die untergehende Sonne ihre letzten Strahlen zur Erde und erhellte Selvaggias Gesicht, brachte ihre intensiv grünen Augen noch mehr zum Leuchten.
    Im Gehen unterhieltet ihr euch leise. Schon bald würde es dunkel sein.
    Am Vormittag hattet ihr es nach endlosem Anstehen in die Basilika des Petersdoms geschafft und wart euch vollkommen verloren darin vorgekommen. Nicht wegen der enormen Ausdehnung, sondern weil ihr euch dort fehl am Platz fühltet. Ihr, die ihr alles andere als unschuldig wart, hattet euch die Basilikakuppel von innen angeschaut. Ihre Erhabenheit bedrückte euch, und die unzähligen Lichtstrahlen, die durch die kreisförmigen Öffnungen in der Kuppel auf euch fielen, schienen wie Finger auf euch zu zeigen.
    Â»Lass uns gehen!«, flüsterte Selvaggia ebenso erschöpft wie verstört, bevor sie sich bei dir einhakte und zum Ausgang führen ließ. »Wir werden nie so sein wie die anderen, und ich darf dich nicht lieben, Johnny, Bruderherz.« Genau das waren ihre Worte.
    Â»Wir müssen auch gar nicht so sein wie die anderen«, sagtest du ungerührt. »Ganz einfach weil wir was Besseres sind.«
    War diese naive Illusion nicht einfach herzzerreißend, mein lieber Giovanni? Natürlich war sie das! Aber in diesem Moment hättest du jede Illusion willkommen geheißen, solange sie die verhasste Realität erträglicher machte.
    Â»Und jetzt?«, sagte sie. »Genügt es dir denn nicht zu wissen, dass ich dich lieben würde, wenn du nicht mein Bruder

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