Die Alchemie der Naehe
Papas Mercedes fahren und sich gar nicht vorstellen können, dass es auch Partys ohne Koks und Alkohol gibt, Schulen, in denen nicht gemobbt wird, oder ein schönes Mädchen, das selbst Geld hat und deshalb nicht käuflich ist wie irgendein Callgirl. Nein, Selvaggia, hast du innerlich gefleht, sag, dass du nicht zu den schönen Mädchen gehörst, die käuflich sind!
Stattdessen trat der Typ auf sie zu, und sie strahlte ihn begeistert an. Er zog sie an sich und küsste sie auf den Mund, was dich fast umbrachte. Während sich die beiden umarmten und einander Worte ins Ohr flüsterten, die du nicht verstehen konntest, die dir aber trotzdem in der Seele wehtaten, wärst du am liebsten im Erdboden versunken. Meine Güte, das konnte doch unmöglich deine Selvaggia sein, das Mädchen, das du so abgöttisch liebtest!
Du wolltest hingehen und ihn fertig machen, diesen Idioten, der sich einbildete, die Zuneigung deiner Schwester erkaufen zu können. Jawohl! Aber wer war hier eigentlich der wahre Schuldige? Er, der gar nicht wusste, dass es dich überhaupt gab? Oder sie, die sich über deine Liebe lustig machte und einen anderen mit ihrer Gegenwart und ihren Gefühlen beglückte? Sie, die nach Belieben über dich und dein Leben verfügte, ja dich sogar leiden und ohne jeden Anflug von Reue fallen lieÃ, sobald sie dich nicht mehr brauchte? Wer von den beiden war dein wahrer Folterknecht?
Daraufhin wurde dein detektivischer Spürsinn noch empfindlicher, und du begriffst, dass sie dich nie geliebt hatte. Du warst nur ein schlechter Ersatz für diesen Typen, den du am liebsten vermöbelt hättest: Gut möglich, dass sie bei ihrer Ankunft in Verona immer noch in ihn verliebt gewesen war.
O Gott, sie konnte das mühelos vor dir geheim gehalten haben! Sind Frauen nicht extrem geschickt darin, sich Ausflüchte, heimtückische Anschläge und Lügen auszudenken?
Sie weigerte sich, dich zu lieben â aber nicht weil du ihr Bruder warst, wie du bis dahin gedacht hattest, sondern weil sie dich einfach nicht liebte. So simpel war das. AuÃerdem waren damit all deine Fragen auf einen Schlag beantwortet. Sie hatte niemals echte, tiefer gehende Gefühle für dich gehabt. Und auch wenige Tage zuvor in Rom, als sie wirklich zwischen dir und dem Verbot, dich zu lieben, hin- und hergerissen zu sein schien â¦
Nein, nein, nein, das spielte jetzt alles keine Rolle mehr. Dir armes, naives Schwein blieb nichts anderes übrig, als das Feld zu räumen. Bloà weg hier, bevor ich durchdrehe, sagtest du dir.
Zurück auf der Jacht warst du wütend, zu Tode verletzt. Jetzt warst du auf dich allein gestellt, mein lieber Giovanni, auf dich zurückgeworfen. Du holtest ein Bier aus dem Kühlschrank und beschlosst, dich in der Kabine zu verbarrikadieren â in der festen Ãberzeugung, dass du dort hemmungslos weinen würdest, während du in Wirklichkeit vollkommen verzweifelt Rom-Fotos ansahst.
Gegen Mittag hörtest du schlieÃlich, wie sie an Bord zurückkehrte, und deine Brust zog sich schmerzlich zusammen. Verstockt gingst du in den Flur und an der Küche vorbei, ohne dass sie dich bemerkte. Du sahst, dass sie dir den Rücken zugekehrt hatte und ein Glas Wasser trank. Als sie sich umdrehte und dich entdeckte, zuckte sie zusammen. »He«, sagte sie. »Hilfe!«
»Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken.«
»Na, vielen Dank auch!«
»Und? Wie warâs? Habt ihr ein Outfit für heute Abend gefunden?«
Sie nickte. »Entschuldige, dass ich mich ein wenig verspätet habe. Aber ich mache uns jetzt was zu essen, einverstanden?«
»Klar. Wart ihr in vielen Geschäften?«
»Ehrlich gesagt, nein.«
»Verstehe.«
»Ja. Und jetzt hör auf, mich zu verhören, du Schnüffler!« Sie lachte nervös, musste aber bei dem Versuch, dich lächerlich zu machen, den Blick abwenden.
»Natürlich! Ich habe von Anfang an gewusst, dass alles super laufen wird, Schwesterlein: Das geht ja auch gar nicht anders bei so einem pseudointellektuellen Arschloch, das angezogen ist wie ein Muttersöhnchen!« Du bliebst vor dem Kü chentisch in der Raummitte stehen, der euch voneinander trennte.
»Wovon redest du da?«, fragte sie gespielt ahnungslos.
»Ach, vergiss es! Aber wie kommst du eigentlich auf die Idee, mich so zu verarschen? Ich bin schlieÃlich dein
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