Die Alchemie der Naehe
die Eingeweide herausriss. Weil sie dann nicht mehr nur dir gehörte, so wie du dir das vorgestellt hattest. Andererseits â und es tat weh, sich das einzugestehen â betrügen Frauen nur, wenn sie insgeheim doch so etwas wie Liebe empfinden.
Du hattest keine Wahl. Du liebtest sie verbotenerweise und konntest ihr deshalb keinen Vorwurf machen. Denn in den Augen der anderen war Selvaggia ein ganz normales Mädchen mit einem Freund. Du warst der Perverse! Wieso sollte es nicht normal für sie sein, neben dir, ihrem Bruder, Freunde zu haben? Und wieso sollte es normal sein, dass es dir unnatürlich vorkam, von ihr getrennt zu sein? Du wusstest, dass ihr Ex, der sich heute zwischen euch gedrängt hatte, nur ein Vorgeschmack auf die Zukunft war. Eines Tages würde es einen anderen geben und dann wieder einen anderen, und jedes Mal würde sie dir den Mann, den sie liebte, als ihren neuen Freund vorstellen. Sie würde eine Familie gründen, ein neues Leben anfangen, ein glücklicheres vielleicht, während du dich bloà nach ihr verzehren, dich um jede Zuneigung bringen würdest. Du würdest apathisch, zynisch, frauenfeindlich, ja unempfindlich gegen jede andere Form von Schönheit werden. Du würdest ihre Kinder bewundern, mit ihnen spielen und ihr dabei jedes Mal nachtrauern. Und irgendwann würdest du sie hassen, weil sie dich immer an eure unwiderrufliche Trennung erinnern würden.
Du würdest alleine zurückbleiben.
42
Es war fast schon Abend, als du zum alten Hafen und der Jacht von Agnes zurückkehrtest. Du entdecktest ein paar neue Gestalten am Bug: Die Party war zwar noch nicht auf ihrem Hö hepunkt, würde aber mit der Zeit immer ausgelassener werden. Du hattest vor, in der Kabine zu bleiben und dich nicht blicken zu lassen. Sollte sich Selvaggia doch irgendwas ausdenken, um deine Abwesenheit zu erklären! Du hattest ohnehin keine Lust auf diese Ansammlung steinreicher Genueser gehabt. Da kam dir euer Streit gerade recht â bloà schade, dass er nicht nur ein Vorwand war, sondern traurige Realität. Andererseits hattest du nicht einmal Lust darauf, deine Schwester zu sehen. Sollte sie doch die Party genieÃen, ja, du wünschtest dir sogar, dass sie sich amüsierte! Du selbst nahmst an diesem Abend gelassen Abschied vom Karussell des Lebens.
»Du kamst aus dem Bad und zogst dich gerade wieder an, als du sahst, wie sie die Kabine betrat. Du konntest nicht anders als sie bewundern: Sie hatte sich für die Party umgezogen und war wunderschön.
Das neue Kleid betonte ihre Figur, und die Schuhe mit den hohen Absätzen lieÃen sie gröÃer wirken. Alles an ihr war perfekt: die dunklen Haare, die sie anders zusammengebunden hatte als sonst, die Kette und ihre neuen Ohrringe. In gewisser Weise war das eine neue Selvaggia, eine, an du dich erst noch gewöhnen musstest. Und besitzergreifend, wie du warst, wolltest du, dass sie die Kajüte nicht verlieà und auf die Party ging. Du wolltest nicht, dass andere sie ansprechen, ihr Komplimente machen, sie mit den Augen verschlingen würden. All ihre Schönheit war nur für dich bestimmt, und am liebsten hättest du sie doch tatsächlich gebeten, den Abend allein mit dir zu verbringen â regungslos, damit du sie bewundern, ihren Körper, den du zwar sehr gut kanntest, aber vielleicht noch nicht genug gewürdigt hattest, aus einer ganz neuen Perspektive betrachten konntest.
Als sie so vor dir stand, besaÃen ihre Gesten eine Schlichtheit und Anmut, wie sie nur Frauen haben. Dein Blick blieb an ihrem dezenten, kaum wahrnehmbaren Make-up hängen, wobei dir durch den Kopf ging, dass du Selvaggia auch wegen ihres guten Geschmacks liebtest. In deinen Augen musste sich eine Frau gut kleiden können, und sei sie auch noch so schön. Denn sonst wirkte sie ungepflegt, und du würdest nichts mit ihr zu tun haben wollen. Dein Ideal war Weiblichkeit pur, was sich allerdings nicht in extravaganter Kleidung ausdrückte, die die Figur entstellte. Eine Frau musste elegant und gepflegt sein, nicht auffällig. Und Selvaggia war nicht auffällig, von ihrer Schönheit mal abgesehen. Sie hatte einfach Stil. Nie war etwas zu gewollt oder zu schlicht. Auch ihre Alltagskleidung war lässig und ungezwungen. So als wüsste sie immer ganz genau, wo was hingehört.
»Du bist wunderschön«, sagtest du, und immer wenn du so aufrichtig mit ihr sprachst,
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