Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin
Mädchen umgebracht. Entführt und abgeschlachtet. Kerle wie er sind hier nicht gerade beliebt, wissen Sie.«
Vor einer Zellentür, die mit einem handtellergroßen roten Kreuz gekennzeichnet war, hielten sie an. Aura bemühte sich vergeblich, unauffällig einen Blick durch das Gitter zu erhaschen. Im Inneren des Raumes herrschte Dunkelheit.
»Was hat das Kreuz zu bedeuten?« fragte sie und dachte dabei an Schlägerkommandos bei Nacht.
Der Wärter verzog das Gesicht. »Das sind jene unter unseren Gästen, die den regelmäßigen Beistand eines Priesters wünschen.«
»Bibelstunden?« fragte sie verblüfft.
Der Wärter nickte und trat ans Gitter. »He, mein Freund, Besuch für dich! Zurück an die Wand, wenn du willst, daß ich aufschließe.«
Im Dunkel der Zelle rührte sich nichts.
Der Wärter stieß einen abfälligen Laut aus, dann drehte er den Schlüssel im Schloß.
»Bitte«, sagte er, »treten Sie ein.«
Einen Augenblick lang zögerte sie. »Warum brennt da drinnen kein Licht?«
»Ihr Bruder hat die Birne zerschlagen.«
In der Finsternis bewegte sich etwas, ganz weit hinten an der Wand. »Licht ist etwas, das man im Herzen trägt, nicht unter der Zimmerdecke«, sagte jemand. Die Worte mochten zynisch klingen, aber der Tonfall, in dem sie gesprochen wurden, war gelassen und sanft.
Aura ertappte sich dabei, daß sie zusammenzuckte, als sie Christophers Stimme erkannte. Der Schrecken währte nur eine Sekunde lang – es gehörte mehr dazu, sie ernsthaft zu verunsichern –, und doch überkam sie der Hauch eines Zweifels. Es hätte andere Wege als diesen gegeben.
Nein, gemahnte sie sich, es war deine eigene Entscheidung. Jetzt sieh zu, daß du das Beste daraus machst.
Mit erhobenem Kopf trat sie an dem Wärter vorbei in die Dunkelheit. Auf der Schwelle wandte sie sich noch einmal zu ihm um. »Sie haben nicht vielleicht eine Kerze für mich?«
»Nun ja«, sagte er gedehnt »Häftlinge haben die Möglichkeit, welche zu erwerben, einmal pro Woche, aber der Verkauf war gestern. Natürlich wäre es unter gewissen Umständen machbar, daß –«
Sie unterbrach ihn, indem sie ihm einen weiteren Geldschein in die Hand drückte. Dann ließ sie ihn einfach stehen.
»Kerze kommt sofort«, sagte er beflissen und schob die Tür hinter ihr ins Schloß. Aura hörte am leiser werdenden Klimpern des Schlüsselbundes, daß der Mann sich entfernte.
Vor ihr war nichts als Schwärze. Die Zelle hatte kein Fenster, und die einzige Lichtquelle, das Gitter in der Tür, verdeckte Aura mit ihrem Rücken. Sie bemerkte es und trat einen halben Schritt zur Seite; dennoch reichte der Schein nur bis zur Hälfte des Raumes. Der hintere Teil lag weiterhin in völliger Finsternis.
»Schön hast du’s hier«, bemerkte sie trocken.
Kleidung raschelte. »Nach sieben Jahren darf ich annehmen, daß du unserem Wiedersehen nicht gerade entgegengefiebert hast.«
»Es gab Gründe«, wich sie ihm aus.
»Ah«, machte er, »gute Gründe, gewiß. Du hast mich von Anfang an nicht gemocht, nicht wahr? Du hast mir mißtraut.«
»Zu Recht, wie wir beide wissen.«
Christopher stieß im Dunkeln ein trockenes Husten aus. »Das ist lange her.«
Wo bleibt nur die Kerze, dachte sie ungeduldig. Sie wollte ihm endlich ins Gesicht sehen.
»Ich konnte nicht früher kommen«, sagte sie fest. Sie war ihm nichts schuldig. Schon gar keine Entschuldigung.
Christopher lachte leise. »Falls du hier bist, um mir eine Feile in die Zelle zu schmuggeln, muß ich dich enttäuschen. Wie du siehst, ist sie hier drinnen ziemlich überflüssig.«
Seine Verbitterung war berechtigt, dennoch empfand Aura kein Mitleid. Er hatte jeden Tag in diesem Loch verdient, jeden verdammten Tag. Mit dem Tod der Mädchen hatte er nichts zu tun, niemand wußte das besser als Aura, aber das, was er ihrer Mutter angetan hatte, war Verbrechen genug. Von dem Mord an Friedrich ganz zu schweigen.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, fragte er: »Wie geht es Mutter?«
»Nicht gut. Sie hat in all den Jahren kaum ihr Zimmer verlassen. Das letzte Mal am Tag der Jahrhundertwende.«
»Vor vier Jahren«, flüsterte er nachdenklich. »Es tut mir leid, Aura. Du magst mir nicht glauben, aber es tut mir aufrichtig leid.«
»Hat dir der Priester etwas von Schuld und Sühne erzählt?« fragte sie kalt.
»Der Priester …«, wiederholte er und seufzte. »Er spricht gelegentlich von solchen Dingen, ja. Aber Gott läßt uns unsere Schuld nicht erkennen, er vergibt sie nur.«
»Und deine hat er dir
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