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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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aufgelöst.«
    »Nein. Natürlich nicht.«
    Christopher schien überrascht, starrte sie aber nur fragend an.
    Aura straffte ihren Oberkörper. »Ich hatte mehr Zeit als du. In sieben Jahren kann ein Mensch viele Bücher lesen.«
    »Der Athanor brennt noch?« fragte er verblüfft.
    »Er brennt. Heißer als jemals zuvor.«
    »Du hast –«
    »Ja.«
    Nicht mehr. Nur dieses eine Wort. Sie war nicht hier, um ihm irgend etwas zu erklären. Der Dachgarten, das Laboratorium ihres Vaters, das waren Dinge, die nur mehr sie allein etwas angingen. Christopher hatte seine Chance gehabt. Im Gegensatz zu ihm hatte sie die ihre genutzt.
    »Und?« Seine Augen blitzten und offenbarten den Schimmer eines früheren Lebens – und eines alten Begehrens. »Hast du ihn gefunden?«
    »Den Stein?« Sie fragte sich, wie überzeugend die Gleichgültigkeit in ihrer Stimme klang. Nicht sehr, gestand sie sich ein. »Nein, ich habe ihn nicht gefunden.«
    Einen Augenblick lang sah er sie zweifelnd an. Ein Gedanke durchfuhr sie: Er glaubt, daß ich lüge.
    Doch Christopher sprach nicht weiter darüber und fragte statt dessen: »Warum bist du gekommen, Aura? Warum jetzt?« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Und erzähl mir bitte nicht noch einmal von deiner Erbschaft und daß du vorher kein Geld für die Reise hattest.«
    »Nein«, antwortete sie, »man kann ohne Geld reisen, wenn es sein muß.« Sie ging einige Schritte in der Zelle auf und ab. Der Luftzug ihres Capes ließ den Kerzenschein hektisch über die Wände geistern.
    »Kurz nach meiner Rückkehr haben sie Friedrichs Leiche gefunden. Das, was die Fische davon übriggelassen hatten. Sein Schädel war zertrümmert. Was denkst du – sind sieben Jahre genug für einen Mord?«
    »Er hat mich angegriffen.«
    »Notwehr?« Die Häme in ihrer Stimme tat ihr gleich darauf leid.
    »Ich habe mich verteidigt, das ist wahr. Zuletzt lag er am Boden. Ich hätte ihn nicht töten müssen. Das war eine Sünde, und ich bereue sie. Irgendwann wird Gott mir die Rechnung dafür präsentieren.«
    »Du meinst, die Besuche des Priesters, die Bibelstunden – all das ist aufrichtig?«
    »Der Glaube erleichtert hier drinnen so manches.«
    »Wie ehrlich kann der Glaube an Gott sein, wenn er nur dem Eigennutz dient?«
    Sein Ausdruck blieb sanft, fast verständnisvoll. »Es sind immer die Umstände, die uns in Gottes Arme führen. Und welche Umstände könnten aufrichtiger sein als diese hier?«
    Statt darauf zu antworten, sagte sie nach kurzem Zögern: »Ich werde jetzt gehen. Aber wir sehen uns wieder.«
    »Was soll das werden, Aura? Eine freundliche Gewohnheit? Danke, das ist nicht nötig.«
    Sie ignorierte seinen Sarkasmus und zog etwas aus ihrer Tasche.
    »Hier, das ist für dich.«
    Er beugte sich vor, ohne aufzustehen. Aura mußte bis auf Armlänge an ihn herantreten, ehe er danach griff.
    »Eine Zigarre?« fragte er verwundert und drehte sie zwischen den Fingern. »Ich habe nie geraucht.«
    »Ich möchte, daß du jetzt damit anfängst.«
    Verwirrung und Argwohn sprachen aus seinen Augen, als sich ihre Blicke trafen. »Was hast du vor?«
    »Du mußt den Rauch tief in die Lunge ziehen.«
    »Und dann?« Er lächelte unsicher, bis Aura ohne eine Spur von Mitgefühl sagte:
    »Dann stirbst du. Ist das ein Problem für dich?«
    Auf den Gräbern wuchs Gemüse in solcher Vielfalt, daß mehr als eine Familie davon hätte satt werden können. Unter der altersgrauen Marmorbüste einer Verstorbenen wucherten Tomatenstauden, Bohnenranken schlängelten sich um die Glieder eines steinernen Seraphim, und viele der Grabsteine und Gedenktafeln stachen zwischen Salatköpfen, Petersilie und Karottensträußen empor.
    Ganz in Schwarz rauschte Aura wie ein vergessener Trauergast über die Wege zwischen den Gemüsegräbern. Die Sonne war bereits untergegangen, das Dämmerlicht lag wie eine getönte Glasglocke über der morbiden Szenerie. Normalerweise war der Friedhof um diese Uhrzeit geschlossen. Aura war sicher, daß niemand sie bemerken würde.
    Für die sonderbare Umgebung hatte sie kaum einen Blick übrig. Ihr Innerstes war unter der gelassenen Oberfläche in wildem Aufruhr, sosehr sie sich auch dagegen sträubte. Sie hatte gelernt, Stolz und Arroganz wie Masken zu tragen, die sie bei Belieben aufsetzen und ablegen konnte. Darunter verbarg sie die Narben, die Lysander ihr geschlagen hatte.
    Sie mochte Friedhöfe nicht. Sie erinnerten sie allzu schmerzlich an jene beiden Menschen, die tot, aber vielleicht nie begraben

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