Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
worden waren – als hätte das ihr Sterben erträglicher gemacht.
    Der Friedhofsgärtner hauste in einer Hütte am Rande des Gottesackers. Wie ein zweites Dach wölbte sich darüber das verwobene Geäst zweier Trauerweiden. Eine der Mauern hatte sich gefährlich nach innen geneigt, doch den Bewohner des Schuppens schien das nicht zu stören.
    »Da sind’s ja«, flüsterte er finster, als er durch den Türspalt blickte und Aura erkannte. »Hab Sie schon eher erwartet.«
    Sie erwiderte kühl seinen Blick. »Weil Frauen sich auf dunklen Friedhöfen fürchten?«
    »Ach was, ach was«, brummte der alte Mann. »Wollt’ längst draußen sein und mei’ G’müs ernten. Das mach ich immer nachts, da ist’s ruhiger. Haben’s den Weißkohl g’sehen? Prächtige Dinger, wirklich.«
    Aura ging nicht darauf ein, sondern trat an ihm vorbei in die Hütte. Sie bestand nur aus einem einzigen Raum, in dem ein Bett und eine alte Kommode standen. Unter dem winzigen Fenster hatte der Gärtner eine Feuerstelle angelegt, wohl in der Hoffnung, der Qualm würde durch die Öffnung nach draußen ziehen. Obgleich im Moment gar kein Feuer brannte, roch alles hier drinnen wie verkohlt.
    Aura fuhr mit eisiger Miene zu dem alten Mann herum. »Wo ist er?« fragte sie scharf.
    Er kicherte schnarrend. »Glauben’s etwa, ich laß den einfach so hier rumliegen?«
    »Wo ist er?« wiederholte sie ungehalten.
    Der Mann winkte ihr zu und trat ins Freie. »Kommen’s mit. Ich zeig’s Ihnen.«
    Das Dämmerlicht schwand allmählich, die Nacht schob sich über die Stadt. Der Gärtner entzündete unterwegs eine Handlampe. »Seit das hier der Arme-Leut-Friedhof is’, gibt’s kei’ Beleuchtung mehr wie anderswo. Mir ist’s recht, wenn’s verstehen, was ich meine.«
    Er führte sie zur gegenüberliegenden Seite der Friedhofsmauer. In einem Geflecht aus Buschwerk und Efeu, gut geschützt vor neugierigen Blicken, lag die Leiche, achtlos abgeladen wie ein Haufen Gartenabfall.
    Zorn blitzte in Auras Augen, als sie den Gärtner ansah. »Sie haben ihn einfach dorthingeworfen?«
    Der alte Mann zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Er is’ tot, oder?«
    Ohne eine Erwiderung stapfte sie durch das kniehohe Strauchwerk und beugte sich eilig über Christophers Körper. Die kleine Reisetasche, die sie dabei hatte, warf sie neben ihm zu Boden. Christopher sah tatsächlich aus, als sei er tot, doch das machte kaum einen Unterschied zu seiner Erscheinung in der Zelle. Hager und bleich, dazu ohne Herzschlag und so kalt wie ein Eisblock, hatte der Gefängnisarzt ihn ohne Sektion zum Verscharren freigegeben. Daß dabei ein Quentchen Glück mit ins Spiel kommen mußte, hatte Aura in Kauf genommen – und, zu ihrem Erstaunen, Christopher nicht minder. Er hatte schon vor Jahren mit seinem Leben abgeschlossen.
    »Kommen Sie her«, forderte sie den Gärtner auf.
    Sie hielt ihre Taschenuhr in das Licht seiner Lampe. Knapp neunundzwanzig Stunden, seit sie die Zelle verlassen hatte. Vorausgesetzt, Christopher hatte die Zigarre gleich darauf geraucht, würde er noch drei bis vier Stunden in diesem Zustand bleiben. So lange würde sie wohl oder übel mit ihm auf diesem Friedhof bleiben müssen.
    »Sie können jetzt gehen und Ihr Gemüse ernten«, sagte sie zu dem Gärtner.
    »Und was wird mit dem da?« fragte der Alte mürrisch.
    »Lassen Sie das meine Sorge sein. Ich habe Sie gut genug bezahlt, um verlangen zu können, daß Sie tun, was ich sage.«
    »Oh, sicher«, gab er zurück und hob abwehrend die Hände.
    »Machen’s mit ihm, was Sie wollen. Ich schau nicht hin.«
    Sie sah zu, wie der Alte davonhumpelte, und konnte erst wieder frei durchatmen, als sein Licht hinter den Baumreihen erloschen war. Vielleicht hätte sie ihn bitten sollen, ihr die Lampe dazulassen.
    Aber, nein, das war nicht nötig.
    ***
    »Das machen wir bitte nicht noch mal«, keuchte Christopher, als Aura hinter ihm die Tür des Hotelzimmers verriegelte. »Ich fühle mich, als hätte man mir –«
    »Den Schädel eingeschlagen«, führte sie seinen Satz zu Ende. »Ich weiß.«
    Selbst durch die Schleier, die vor seinen Augen lagen, erkannte sie seine Verwunderung. »Stand das in einem von Nestors Büchern?«
    »Nein«, erwiderte sie und warf ihren Hut in die Ecke. »Ich hab’s ausprobiert.«
    »Das hast du dir angetan?« fragte er zweifelnd.
    Sie streifte das Cape von den Schultern und hängte es an einen Garderobenhaken. »Glaubst du wirklich, ich hätte dir das Zeug verabreicht, ohne die Wirkung zu

Weitere Kostenlose Bücher