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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Glaszylinder kühl und erfrischend vor.
    Aura lehnte sich zurück und blickte durch die Scheiben hinaus auf die schwankenden Zypressenwipfel. Sie beugten sich, als wollten sie das Gespräch der beiden belauschen.
    »Das wichtigste scheint erst einmal die Satorformel zu sein.«
    Christopher runzelte die Stirn. »Sie ist nicht mit dem Satz identisch, den die Kinder geträumt haben.«
    »Der Sämann Arepo hält mit Mühen die Räder«, wiederholte Aura.
    »Aber das was die Kinder träumten, und was Gillian zu meinem Vater sagte, war: Der Sämann hat ein neues Rad. So war es doch, oder?«
    Christopher nickte bestätigend. »Wer oder was dieser Sämann auch ist – er hat irgend etwas hinzugewonnen. Zu seinen früheren Rädern ist ein neues dazugekommen.«
    »Gehen wir einmal davon aus, Gillians Satz – und der der Kinder – sei als Rätsel zu verstehen, als eine Art Geheimcode. Dann ergäben sich daraus zwei Fragen. Erstens: Wer oder was ist der Sämann? Und zweitens: Was ist sein ›neues Rad‹?«
    »Kannte Gillian deinen Vater, bevor er hierherkam?«
    »Nein«, entgegnete Aura, »ich glaube nicht. Dieser Satz war mit Sicherheit eine Botschaft von Lysander. Vater muß die Bedeutung gekannt haben.«
    »Dann glaubst du, daß Lysander der Sämann ist?«
    »Möglicherweise. Womit hätte Lysander meinem Vater im Augenblick seines Todes übler zusetzen können, als mit der Botschaft, daß er etwas gefunden hatte, das Vater nie mehr erlangen würde?«
    Christopher beugte sich mit einem Ruck vor. Sein Atem stockte.
    »Du meinst den Stein?«
    »Das liegt nahe, oder?«
    »Ich weiß nicht. Weshalb hätte er dann Sylvette entführen sollen? Warum mit ihr ein Kind zeugen, wenn er zu diesem Zeitpunkt den Stein – und damit die ewige Jugend – längst besessen hat? Ganz abgesehen davon, daß wir mit eigenen Augen gesehen haben, wie Lysander an Altersschwäche starb. Hätte er den Stein gehabt, hätte er ihn benutzt.«
    »Aber Gillian hätte so etwas niemals aus eigenem Antrieb zu meinem Vater gesagt! Es muß eine Nachricht Lysanders gewesen sein, eine Art letzter Triumph.«
    Sie las in Christophers Augen, was er darauf erwidern wollte: Du hast Gillian kaum gekannt, vergiß das nicht. Doch er sprach die Worte nicht aus, und Aura war ihm dankbar dafür.
    »Es macht keinen Sinn«, sagte er nach kurzem Zögern.
    Aura stand auf. »Wie wär’s damit: Du gehst runter und sprichst noch einmal mit den Kindern. Frag sie ganz genau über diese Träume aus. Wenn du willst, laß dir von Gian etwas über seine Visionen erzählen. In der Zwischenzeit versuche ich, in der Bibliothek etwas über die Bedeutung der Botschaft herauszufinden.«
    »Du tust doch nichts, ohne mit mir darüber zu reden?«
    »Nein.«
    Aber sie wußte selbst nicht, ob ihr Versprechen aufrichtig war.
    Das Kraut auf dem Grab ihres Vaters war nach dem ersten Sprießen nur noch mit unerträglicher Langsamkeit gewachsen. Wenige der Pflänzchen reichten höher als Auras Knöchel, die größten nicht einmal bis zum Knie. Man hätte sie in der Tat für Unkraut halten können, wie es an so vielen Stellen des Dachgartens wucherte.
    Aura hockte am Rand des Beetes und dachte daran, daß irgendwo dort unten die Knochen ihres Vaters lagen. Seltsamerweise barg diese Vorstellung keinen Schrecken. Die Erinnerung an Nestor war etwas sehr Verschwommenes geworden. Sie spürte keine familiäre Nähe mehr zu ihm, geschweige denn Liebe. Sie wußte nicht, ob es wirklich nur mit dem zu tun hatte, was er mit ihr vorgehabt hatte. Vielmehr hatte sich der Eindruck ihres Vaters in ihrem Kopf gänzlich von seinen Merkmalen als Mensch gelöst. Er war zu einer unbestimmbaren Macht geworden, einer spirituellen Potenz.
    Wie oft hatte sie hier an seinem Grab gekauert und über ihre Gefühle zu ihm nachgedacht! Nein, Liebe verspürte sie gewiß nicht, ebensowenig wie Haß. Statt dessen war es, als sei ihr Vater ein vollkommen Fremder, den mit Aura nur ein einziger Umstand verband – ihre gemeinsame Feindschaft zu Lysander.
    Sie zupfte eines der schwertförmigen Blätter ab und zerrieb es zwischen Daumen und Zeigefinger. Sie fragte sich, ob es richtig gewesen war, daß sie Christopher nie erzählt hatte, was er im Gefängnis geraucht hatte. Er hatte gefragt, natürlich. Sie hatte ausweichend erwidert, es sei ein Mittel, das seinen Scheintod herbeiführe – daß es aber das Kraut von Nestors Grab war, hatte sie ihm verschwiegen.
    Sie selbst hatte es wenige Wochen zuvor ausprobiert. Dabei war die

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