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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Unsterblichkeit nichts, das sie reizte. Nicht nach all den Jahren, die sie mit Grübeleien darüber zugebracht hatte, mit dem Abwägen von Vor- und Nachteilen, der Angst vor der Einsamkeit. Die Situation war ebenso verzwickt wie absurd – Aura wollte die Unsterblichkeit nicht, und doch besaß sie sie womöglich längst. Nach so langer Zeit dachte sie darüber nach wie andere Frauen ihres Standes über Abendgarderobe und Männerbekanntschaften. Der Kitzel war gewichen, der Reiz zur Gewohnheit erstarrt.
    Anfangs war das anders gewesen. Die ersten Monate im Laboratorium hatte sie mit dem fieberhaften Studium alter Schriften und den Versuchsanordnungen ihrer Vorgänger verbracht. Doch dann, nach nicht einmal einem Jahr, war ihre heißblütige Neugier sachlichem Interesse gewichen. Den Drang, ihr Wissen zu mehren und es im Sinne der Alchimie zu nutzen, hatte sie von ihrem Vater geerbt – doch hatte sie dabei entdeckt, daß sie wissenschaftlich, beinahe trocken an die Dinge heranging, nicht etwa leidenschaftlich. Vielleicht war das der Grund, weshalb sie sich immer eine Chance gegen Lysander eingeräumt hatte. Was er ihr an Macht und Erfahrung voraus hatte, machte sie durch Kalkül und Lernbereitschaft wett.
    Allein gegen eines besaß sie keine Waffe: gegen Größenwahn. Sie verstand ihn nicht, konnte seine Gedanken nicht nachvollziehen. Das war einer der Gründe gewesen, warum sie geglaubt hatte, Christopher könne ihr helfen. Er kannte die Gier nach Macht aus erster Hand, und Aura war beinahe enttäuscht gewesen, als sich herausgestellt hatte, daß er diese Eigenschaft im Gefängnis verloren hatte.
    Sie erhob sich und ging hinüber zur Bibliothek. Auf dem Weg dorthin kam sie am Athanor vorbei. Obwohl er seit Wochen ungenutzt war, zuckten die Flammen unermüdlich um den stählernen Kesselboden. Aura hatte früh erkannt, daß das Alchimistenfeuer ein Eigenleben besaß. Schürte man es nicht und hielt es auf kleiner Flamme, dankte es einem dies mit Bescheidenheit und verzichtete auf Nahrung. So war das Feuer der wahre Lehrer des Alchimisten: Aus Genügsamkeit erwuchs sein Nutzen, aus seinem Nutzen das ewige Leben.
    ***
    »Christopher!« Halb fünf am nächsten Morgen. Ihr Stiefbruder lag eingerollt in seinem Bett, das Kissen halb vors Gesicht gezerrt, als hätte er damit in der Nacht etwas abwehren wollen.
    »Christopher, nun wach schon auf!«
    Er öffnete die Augen, blinzelte und entdeckte im fahlen Licht der Deckenlampe Aura auf seiner Bettkante. Sie wedelte aufgeregt mit einem Stoß Papier.
    »Was … was ist?«
    Sie grinste triumphierend. »Die Lösung! Ich hab sie gefunden.«
    Er war auf einen Schlag hellwach. »Ich habe geträumt.«
    »Nicht du auch noch!«
    »Ich hab von dir geträumt.«
    Sie legte einen Moment lang den Kopf schräg, dann entschied sie, nicht darauf einzugehen.
    »Also?« fragte er und setzte sich auf. Sein hagerer Oberkörper war nackt. Narben zogen sich kreuz und quer über seine Brust.
    »Stammen die aus dem Gefängnis?« fragte Aura irritiert.
    »Ja.« Seine Antwort kam widerwillig. »Du hast die Lösung, sagst du?«
    »Wie wach bist du?«
    »Ist es so kompliziert?«
    »Wie man’s nimmt.«
    Er streckte sich. »Dann laß mich erst aufstehen.«
    Eine halbe Stunde später saßen sie im Herrenzimmer. Es roch nach kalter Asche, obwohl die Hausmädchen am Vortag den Kamin ausgefegt hatten. Weil Aura es albern fand, auf die leere Feuerstelle zu blicken, hatte sie ihren Ledersessel herumgezogen, so daß sie und Christopher sich genau gegenübersaßen. Sein linkes Knie wippte ungeduldig auf und ab.
    »Erklär’s mir«, bat er und deutete auf den Papierstapel in ihrer Hand.
    Sie begann mit einer Frage: »Aus wie vielen Buchstaben besteht die Satorformel?«
    »Fünfundzwanzig. Fünf Reihen zu je fünf Buchstaben.«
    Aura nickte. »Früher, zu Zeiten des Pythagoras, hat die Mathematik den Zahlen nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Eigenschaften zugewiesen. Heute sind die meisten dieser Bedeutungen in Vergessenheit geraten, von einer abgesehen, der Dreizehn, der Unglückszahl. Damals, bei den alten Griechen, begann man auch damit, aus Zahlen sogenannte magische Quadrate zusammenzusetzen, nicht zu verwechseln mit den anagrammatischen Quadraten, die aus Buchstaben bestehen. Die magischen Quadrate dagegen sind Anordnungen der durchlaufenden Zahlenreihe – von eins bis neun – in quadratischen Feldern. Dabei werden die Zahlen so angeordnet, daß die Summe der senkrechten, waagerechten und

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