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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Felsspalt und« – er lachte krächzend – »jede Bergziege im Angesicht Allahs und Jehovas. Wenn sie nicht unterwegs ist, kehrt sie jeden Abend bei mir ein. Sie können sie heute treffen, wenn Sie es wünschen.« Was Aura von dem Angebot überzeugte, war die Aufrichtigkeit, mit der der Wirt hinzufügte: »Aber geben Sie acht, Marie nimmt oft sehr viel Geld. Handeln Sie mit ihr, es wird sich lohnen.«
    Bis zum Abend ruhten sie sich in ihrem Zimmer aus, ergingen sich in weiteren Theorien über Lysander, Morgantus und das Gilgamesch-Kraut, ehe Aura einschlief und erst wieder erwachte, als Christopher sanft an ihrer Schulter rüttelte.
    Daraufhin begaben sie sich in den Schankraum, wo der Wirt sie auf einen Tisch unweit der Tür verwies. Dort saß, über eine Schale mit Maisbrei gebeugt, eine Frau. Sie war erstaunlich jung, Anfang Zwanzig, und schon überkamen Aura Zweifel, ob sie wirklich die Richtige war. Christopher aber wollte unbedingt zu ihr hinübergehen, und Aura fragte sich im stillen, ob das Funkeln in seinen Augen wirklich nur von der Reiselust rührte.
    Marie Kaldani war fraglos eine attraktive junge Frau. Sie war einen guten Kopf kleiner als Aura und nicht ganz so zierlich, aber ihr Gesicht war feingeschnitten, aber von einer gewissen groben Schönheit. Ein entschlossener Zug lag um ihre braunen Augen. Ihre kastanienfarbenen Locken wehrten sich wild gegen ein Band am Hinterkopf. Sie hatte etwas Zigeunerhaftes, fand Aura. In Maries Blick paarte sich Gerissenheit mit Wagemut, Skepsis mit Leidenschaft.
    Obwohl die Swanin sie längst bemerkt haben mußte, wollte der Wirt die beiden persönlich zum Tisch führen – zweifellos, um ein weiteres Trinkgeld zu kassieren. Aura aber schlug ihn mit einem finsteren Blick in die Flucht.
    Die junge Swanin bat sie mit einem Nicken, Platz zu nehmen. Nachdem Aura ihr erklärt hatte, daß sie beabsichtigten, eine Reise nach Swanetien zu unternehmen, löffelte Marie in aller Ruhe ihren Maisbrei zu Ende und nahm einen tiefen Zug aus ihrem Weinbecher. Dann erst erwiderte sie Auras ungeduldigen Blick.
    »Wohin in Swanetien möchten Sie?« fragte sie in erstaunlich flüssigem Deutsch.
    Aura wollte etwas erwidern, aber Christopher kam ihr mit leuchtenden Augen zuvor. »Woher sprechen Sie unsere Sprache so gut?«
    »Viele Deutsche kommen hierher«, erwiderte Marie und lächelte, wobei sie offen ließ, ob sie mit »hier« Suchumi oder ihre Heimat meinte. »Mein Großvater stammte aus einem Ort namens Hamburg.« Ihr Akzent ließ sie das H verschlucken und das U in die Länge ziehen. »Er war Seefahrer.«
    »Kommt es hier denn oft vor, daß einheimische Frauen und ausländische Männer zueinanderfinden?« fragte Christopher.
    »Nur selten«, erwiderte Marie, und abermals huschte ein verschmitztes Lächeln um ihre Mundwinkel. Es nahm ihr ein wenig von der Härte, die in ihren Zügen lag. »Meine Großmutter hat immer von einem blonden Kind geträumt. Sie ließ sich für eine Nacht mit meinem Großvater ein, dann jagte sie ihn davon.« Jetzt lachte sie ganz offen. »Trotzdem hatte ihr Sohn, mein Vater, rabenschwarzes Haar.«
    »Aber wenn Ihr Großvater so bald wieder verschwand«, bemerkte Aura nicht ohne Argwohn, »dann verstehe ich nicht, weshalb Sie so fließend unsere Sprache sprechen.«
    Christopher schenkte ihr einen grimmigen Blick, als wolle er sagen: Nun laß sie doch in Ruhe! Das aber machte Aura nur noch ärgerlicher.
    »Ganz einfach«, erwiderte Marie mit hochgezogenen Augenbrauen. »Meine Großmutter schickte ihn zwar fort, doch er hatte sich so sehr in sie verliebt, daß er wenige Monate später zurückkehrte, seine Stellung an Bord des Schiffes aufgab und meiner Großmutter einen Heiratsantrag machte. Sie nahm ihm den Schwur ab, mit ihr zurück in die Berge zu gehen und dort Ziegen zu züchten.«
    »Das hat er tatsächlich getan?« fragte Christopher verwundert.
    Marie nickte. »Nach zwei Jahren besaß er mehr Ziegen als jeder andere Mann Uschgulis.«
    »Verzeihen Sie«, unterbrach Aura grob, »aber wir sind nicht hier, um uns über Familiengeschichten zu unterhalten. Falls wir uns einig werden, sollte dafür später noch genügend Zeit sein.«
    »Sie haben recht«, bestätigte Marie zu Christophers Enttäuschung. »Aber Sie haben mir meine Frage noch nicht beantwortet: Wohin in Swanetien wollen Sie?«
    Einen Augenblick lang zögerte Aura. Verriet sie zuviel, wenn sie bereits so früh eine Antwort auf diese Frage gab? Aber, nein, Lysander konnte nicht überall seine

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