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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Wald brannte nieder, der Fuchs hat sich verstümmelt, und ich zerschlug meine goldenen Krüge.‹
    Solche Trauer überkam da die Zarin, daß sie sich schreiend aus dem Fenster stürzte und ihr Töchterchen mit sich riß. Als der Zar das hörte, zog er vor Leid seinen mächtigen Säbel und schnitt sich selbst die Kehle durch – genauso, wie Babanykja und Babasykja es beim Ziegenhüten geplant hatten.«
    Die Swanin verstummte und leerte mit einem Zug den Becher. Dann sagte sie: »Wir Swanen waren immer ein eigenwilliges Volk. Kein anderer Stamm des ganzen Gebirges hat den russischen Eroberern so lange und so erbittert Widerstand geleistet.«
    »Wenn Ihr Volk so listig ist«, sagte Aura, »sollten wir uns wohl vor Ihnen in acht nehmen, Marie – und vielleicht nicht so vorschnell auf Ihre Forderungen eingehen.« Sie lächelte kühl. »Fünfzehn am Tag.«
    Damit streckte sie der Swanin die Hand entgegen.
    Marie lachte und schlug ein. »Sie haben gerade die beste Führerin im ganzen Kaukasus angeworben.«
    »Das haben Ihre Kollegen am Hafen auch von sich behauptet.«
    »Die haben gelogen. Ich lüge niemals.«
    Aura nahm zaghaft einen Schluck aus ihrem Becher. Der Wein war vorzüglich, trocken und ungemein stark. Über den Becherrand beobachtete sie, wie Christopher der Swanin einen langen Blick zuwarf. Marie erwiderte ihn, aber ihre Augenlider flatterten nervös. Vielleicht war sie nicht ganz so stoisch und hart, wie sie tat.
    Laut und vernehmlich sagte Aura: »Wir möchten gleich morgen früh aufbrechen. Können Sie uns bis Tagesanbruch drei Pferde besorgen?«
    »Selbstverständlich.« Und dann nannte Marie einen Preis, für den sie zu Hause drei Kutschen hätten kaufen können. Widerstrebend willigte Aura ein, dann erhob sie sich. »Eines noch, Marie. Es ist möglich, daß wir an unserem Ziel ein wenig … nun, Hilfe brauchen. Tatkräftige Hilfe.«
    »Sie brauchen Männer? Bewaffnete Männer?«
    »Möglicherweise.«
    »Kein Problem«, entgegnete die Swanin eilfertig. »Wir werden meinem Dorf einen Besuch abstatten. Es liegt fast auf dem Weg. Ich kann Ihnen dort Männer besorgen.«
    Die Beiläufigkeit, mit der Marie auf ihr Ersuchen einging, verwirrte Aura. Auch Christopher schaute verblüfft drein. Vielleicht würde sich dieses Land noch als sehr viel fremder erweisen, als sie beide für möglich gehalten hatten. »Werden wir uns auf Ihre Leute verlassen können?« fragte Aura zweifelnd.
    »Hier bei uns ist das eine Frage des Preises«, entgegnete Marie und klang dabei ein wenig beleidigt. »Für gutes Geld bekommen Sie gute Männer. Wie viele werden Sie brauchen?«
    »Ich hoffe, nicht mehr als zwanzig.«
    »Die werden Sie bekommen. Jeder einzelne so listig wie Babanykja und Babasykja.«
    Aura blickte die Swanin noch einen Moment lang prüfend an, dann gab sie nach. Sie war müde, und vor ihren Augen begann der Schankraum unmerklich zu verblassen. Der Duft der Wasserpfeifen, die an manchen Tischen geraucht wurden, erschien ihr plötzlich intensiver als zuvor, die Gesprächsfetzen lauter. Der Wein, sagte sie sich, nur der Wein. »Ich gehe ins Bett«, verkündete sie mit einem Seitenblick auf Christopher.
    Der aber ließ seine Augen nicht von Marie und sagte: »Geh ruhig schon vor. Und, Aura –«, er prostete in ihre Richtung, »– schlaf gut!«
    Gillian brachte die Pferde zum Stehen, als der Waldweg vor ihnen durch einen steinernen Bogen führte. Die Torflügel waren aus den Angeln gebrochen und lagen am Boden. Unter ihren Rändern zwängte sich buschiges Gras hervor. Der Weg jenseits des Tores war mit Holzstämmen ausgelegt. Auch sie waren von Unkraut und Dornenranken überwuchert.
    »Wir müssen den Wagen hier stehenlassen«, sagte er zu den Kindern und sprang vom Kutschbock. Gian flüsterte Tess etwas zu. Sie kicherte leise.
    Gillian hatte sich während der vergangenen zwei Tage damit abgefunden, daß die beiden hinter seinem Rücken scherzten und allerlei Streiche planten. Es war ein Zeichen dafür, daß sie ihm trauten. Selbst Gian hatte seinen anfänglichen Argwohn abgelegt. Wohl vermied er es immer noch, Gillian direkt anzusprechen; offenbar hatte er sich noch nicht entschieden, ob er ihn »Vater« oder lieber beim Vornamen nennen wollte. Gillian war es gleichgültig. Er selbst hatte Mühe, Gian von einem Tag auf den anderen als seinen Sohn zu betrachten – wie schwer mußte es da umgekehrt erst für einen Siebenjährigen sein, ihn als Vater zu akzeptieren!
    Sie hatten das Pferdegespann am frühen Morgen

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