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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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dann brüllte er plötzlich: »Herrgott, ich brauche es, verdammt! Ich hatte nur diese eine Bitte an dich! Nur diese eine! War das nicht ein geringer Preis für deine Privilegien in diesem Haus?«
    Charlotte zuckte so heftig zusammen, daß es niemandem entgehen konnte. Aura stieß ein verächtliches Schnauben aus.
    Friedrich atmete tief durch und straffte seinen Oberkörper. »Ich werde das Schloß umgehend verlassen, wenn du es wünschst, Nestor.«
    Der Alte starrte ihm noch einmal in die Augen, dann flüsterte er nur: »Tu, was du willst.« Bleich und gebeugt stürmte er hinaus, schlug krachend die Tür hinter sich zu. Christopher hörte, wie seine Schritte auf dem Gang davondonnerten.
    An diesem Abend gab es keine weiteren Berichte über die Wüste Namib und kein Wort mehr über ihre Wunder.
    ***
    Vielleicht waren es all die Expeditionen ins Unbekannte, die ansteckende Kühnheit des Freiherrn, die Christopher in der Nacht zu einer Entscheidung brachten.
    Er hatte keine Minute Schlaf gefunden, seit sich die Versammlung im Damenzimmer aufgelöst hatte, gleich nach Nestors groteskem Auftritt. Stundenlang hatte er gegrübelt, hatte nachgesonnen über das, was er vorhatte. Doch alle komplizierten Pläne waren zwecklos. Nichts davon machte Sinn. Er mußte den direkten, den schnellsten Weg nehmen. Jetzt gleich, oder er würde nie wieder ruhig schlafen können. Seine Neugier, sein Wissensdrang ließen ihn am ganzen Leibe erbeben. So war es immer gewesen. Er konnte nichts dafür, er konnte einfach nicht anders.
    Im Waisenhaus hatten sich die anderen Kinder darüber lustig gemacht. Tief in sich konnte er sie immer noch hören, die hellen Stimmen, ihr Kreischen und Lachen, wenn sie ihn über die Flure jagten, ihr Johlen, wenn sie ihm staubige Bücher unter die Nase hielten, sich jubelnd an seinen Anfällen weideten.
    Nur Bruder Markus hatte ihn verstanden. Wenngleich auch ihn Christophers Eifer und Wißbegier gelegentlich erschreckt hatten. Was brachte einen Jungen dazu, die alten Schriften und Bücher zu studieren, obgleich ihre Nähe ihm Atemnot und Reizhusten verursachte – wo doch andere, gesunde Kinder nicht das geringste Interesse für das geschriebene Wort aufbringen wollten? Der Bruder hatte keine Antwort auf diese Frage gefunden. Nicht einmal Christopher selbst kannte sie.
    Der Mond erhellte das Bleiglas im Fenster. Es zeigte drei hohe Säulen, die sich von einem schachbrettartigen Boden erhoben. Über jeder Säule war ein runder Ausschnitt des Himmels zu sehen: Im einen erstrahlte die Sonne, im anderen der Mond, im letzten schienen die Sterne. An der mittleren Säule lehnte eine Leiter, die weiter oben im Dunst verschwand. Eine menschliche Gestalt erklomm die Sprossen und ließ am Boden drei Gegenstände zurück: Bibel, Zirkel und Winkelmaß.
    Christopher schlug die Decke zurück und stand auf. Das Fenster warf ein buntes Zwielichtraster über die Einrichtung des Zimmers.
    Der Raum war groß, gewaltig gar, wenn man ihn mit den Kammern des Waisenhauses verglich. Nur Schlaf- und Speisesäle waren größer gewesen, und in ihnen hatten sich Dutzende Kinder getummelt. Diesen Raum aber hatte Christopher für sich allein. Er hatte beim Eintreten zum ersten Mal das Gefühl gehabt, im Inneren eines Gebäudes frei durchatmen zu können. Charlotte hatte das Bücherregal neben dem mächtigen Eichenschrank leerräumen und mit Blumen schmücken lassen.
    Eilig zog er seine Kleidung über und schlich barfuß zur Tür. Er horchte am Holz, drückte dann langsam die Klinke herunter. Schlüpfte lautlos hinaus auf den Flur. Sein Zimmer lag wie die von Daniel und Sylvette im ersten Stock des Ostflügels, am Ende eines langen Korridors. Nur Aura schlief ein Stockwerk darüber.
    Um zurück zum Mitteltrakt zu gelangen, mußte Christopher an den Türen der anderen vorbei. Der Flur war finster, nur ein einziges Gaslicht brannte an seinem Ende. Davor aber schienen sich die Schatten zusammenzuballen. Christopher konnte kaum den Boden zu seinen Füßen erkennen, wagte aber nicht, weitere Lichter zu entzünden.
    Vorsichtig passierte er erst Sylvettes, dann Daniels Tür. Dahinter war kein Laut zu hören. Beinahe fluchtartig lief er den Gang hinunter, erreichte unterhalb des Gaslichts eine Gabelung und nahm den Korridor nach links. Er führte zum Hauptflügel.
    Christopher blieb unbehelligt. Die meisten der Bediensteten wohnten im Dorf, sie setzten am Abend mit dem Boot zum Festland über. Das übrige halbe Dutzend schlief in Zimmern im

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