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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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für seine Unternehmungen zu ziehen. Er unterhielt ein Gut rund sechzig Kilometer südlich von Schloß Institoris, offenbar ein beträchtliches Anwesen, das er mit Hilfe seiner afrikanischen Einkünfte zu einem prächtigen Stammsitz ausgebaut hatte. Immer wieder betonte er, daß seine Reise in die Kolonien vor allen Dingen geschäftliche Gründe gehabt habe, doch mußte jedem, der seinen Erzählungen lauschte, unweigerlich klarwerden, daß eine gehörige Portion Abenteuerlust der wichtigste Antrieb seiner Expedition gewesen war.
    Onkel Friedrich, wie Sylvette ihn immer wieder voller Zuneigung nannte, sprach ehrfurchtsvoll vom heißen »Gesichtswind«, einem glühenden Wüstenföhn, den die Nomadenstämme so genannt hatten, weil er von Osten her – aus dem »Gesicht der Welt« – über die Ebenen fauchte. Von Vehse erzählte auch von seinen Begegnungen mit Hottentotten; sie wiederum verdankten ihren Namen den holländischen Afrikaforschern, die sich über die stotternde Sprache der Eingeborenen lustig machten. Viele solcher Anekdoten und Geschichten wußte der Freiherr zu berichten, und Christopher ertappte sich, wie er jedem Satz mit wachsender Leidenschaft lauschte. Hier war zweifellos ein Mann, von dem es einiges zu lernen gab. Zugleich aber verspürte er auch unverhohlenen Neid auf diesen Abenteurer, dem keine Entfernung zu groß, keine Gefahr zu verwegen war. Christopher selbst würde wohl nie von solchen Reisen zu erzählen haben. Doch er unterdrückte seine Verbitterung darüber und hörte weiterhin aufmerksam zu.
    Es ging bereits auf Mitternacht zu, als plötzlich die Tür des Damenzimmers aufgestoßen wurde. Eine Gestalt erschien im Türrahmen. Flackernder Feuerschein vom Kamin zuckte gespenstisch über ihre Züge.
    Christopher, schlagartig aus den Weiten der Namib in die Wirklichkeit zurückgerissen, begriff, daß der Zeitpunkt gekommen war, an dem er zum ersten Mal seinem Stiefvater gegenübertreten würde. Plötzlich war er nicht mehr sicher, ob er darüber wirklich glücklich war.
    Nestor Nepomuk Institoris war alt, viel älter, als Christopher erwartet hatte. Kein Jahr unter sechzig, eher einige darüber. Sein Haar war grau, der Körper leicht gebeugt, aber keineswegs schwächlich. Furchen zogen sich durch sein Gesicht, vom gelben Schein der Flammen noch vertieft. Die Augen des Alten aber waren groß und hell, als glühe in ihnen ein scharfer Intellekt.
    Nestor blieb am Eingang des Zimmers stehen und ließ seinen Blick über die versammelte Familie bis hin zu dem braungebrannten Besucher auf dem Sofa huschen. Er verharrte auch nicht, als er Christopher entdeckte, was dem Jungen einen scharfen Stich versetzte.
    »Hast du es mitgebracht?« fragte er ohne Begrüßung. Seine Stimme war schneidend.
    Friedrich sprang auf und eilte mit wenigen großen Schritten auf den Hausherrn zu. Er streckte ihm die Hand entgegen. Nestor ergriff sie nur widerwillig, als sei für ihn jede freundliche Geste, jedes höfliche Wort pure Zeitverschwendung.
    »Nestor!« sagte der Freiherr. »Wir haben uns lange nicht gesehen.«
    Der Alte ging nicht darauf ein. »Hast du mitgebracht, worum ich dich gebeten habe?«
    Unverständnis erschien auf Friedrichs Gesicht, vielleicht auch ein Anflug von Ärger. »Um was du mich gebeten hast? Was meinst du?«
    Da sagte Nestor etwas, das atemloses Schweigen über die Anwesenden legte: »Das Blut eines Drachen, der von einem Elefanten zermalmt wurde« Der Alte legte mißtrauisch den Kopf schräg. »Es gibt doch Elefanten, dort, wo du dich herumgetrieben hast?«
    Friedrich wirkte zum ersten Mal ernsthaft verunsichert. Verwirrt warf er Charlotte einen Blick zu.
    »Ja … ja, es gibt dort Elefanten. Aber –«
    »Aber?« unterbrach Nestor ihn finster. »Soll das heißen, du hast es vergessen?«
    »Vergessen? Ja. Das heißt, nein«, verbesserte sich Friedrich. Ein wenig gefaßter fügte er hinzu: »Ich glaubte damals, du hättest einen Scherz gemacht.«
    Nestor biß vor Zorn die Zähne zusammen. Es dauerte einen Augenblick, ehe er mühsam hervorpreßte: »Einen Scherz? Ich bitte dich, Friedrich, wie lange ist es wohl her, daß ich einen Scherz gemacht habe?«
    »Nun, ziemlich genau zehn Monate, nahm ich an.« Friedrich versuchte offensichtlich, die peinliche Situation durch Humor zu retten.
    Christopher verkniff sich ein Grinsen, fuhr aber entsetzt zusammen, als ihn ein Blick aus Nestors Glutaugen streifte.
    »Ich verstehe«, sagte der Alte sehr langsam und leise. »Ich verstehe nur zu gut.« Und

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