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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Erdgeschoß. Nachtwächter oder gar Wachhunde gab es nicht.
    Leise schlich Christopher über die Flure und gelangte schließlich in eines der beiden Haupttreppenhäuser. Obgleich er barfuß war, hallten die Laute seiner Schritte auf den breiten Marmorstufen wider. Zu seiner Enttäuschung endete die Treppe im zweiten Stock, ohne daß ein weiterer Aufgang zum Dachgarten führte. Es mußte einen anderen Weg dorthin geben.
    Allmählich gewöhnten sich seine Augen an das schwache Licht der vereinzelten Nachtlampen. Immer noch wirkten die Flure doppelt so lang wie bei Tag, immer noch kamen ihm die Schatten bedrohlich und bodenlos vor. Dennoch suchte er weiter.
    Er wußte nicht mehr, wie lange er nun schon umherirrte, ohne ans Ziel zu gelangen. Ärger und Enttäuschung vernebelten seine Neugier, und er kam mehr und mehr zu dem Schluß, daß es besser sei, umzukehren.
    Plötzlich blieb er stehen. Erstarrte.
    Ein helles Kreischen gellte über den Flur.
    Da, noch einmal! Es drang durch eine Tür an der Seite des Korridors.
    Christopher war mit einemmal eiskalt, Furcht überkam ihn. Blitzschnell überlegte er, ob er Hilfe holen sollte. Das Kreischen klang, als befände sich ein Mensch in höchster Bedrängnis. Dann wieder machte es den Eindruck, als sei es ganz und gar unmenschlich.
    Langsam näherte er sich der Tür. Die Schreie brachen ab. Er legte die Hand auf die Klinke, öffnete. Der Metallgriff fühlte sich an wie pures Eis. Die Kälte kroch seinen Arm empor, hinterließ eine Gänsehaut.
    Hinter der Tür war es dunkel, Holzstufen führten eine schmale Treppe hinauf. An ihrem Ende mußte sich eine weitere Tür befinden; alles, was Christopher erkennen konnte, war ein Streifen vager Helligkeit, oberhalb der letzten Stufe.
    Nach kurzem Zögern trat er durch die untere Tür, setzte einen Fuß auf die Stufe. Dann den zweiten. Achtsam, kein Geräusch zu verursachen, stieg er die Treppe hinauf. Mehr als einmal knarrte das Holz leise, und jedesmal überkam ihn panische Angst. Was tat Nestor dort oben? Wer oder was stieß diese entsetzlichen Schreie aus? Und vor allem: Was würde der Alte tun, wenn er Christopher entdeckte?
    Er wird mich zurückschicken! durchfuhr es ihn. Er schickt mich zurück ins Waisenhaus!
    Trotzdem ging er weiter. Sein ganzer Körper war angespannt, jeder Muskel schmerzte. Er erreichte die Tür, wagte aber nicht, die Klinke hinabzudrücken. Statt dessen tastete er mit den Handflächen über das Holz. Er fühlte ein Relief. Nachdem seine Augen sich an die Finsternis gewöhnt hatten, erkannte er, daß es einen Pelikan darstellte.
    Wieder das Kreischen! Lauter, diesmal. Unweit der Tür.
    Christopher warf sich herum und floh. Sprang in weiten Sätzen die Treppe hinunter, glitt an einer Kante aus, stürzte und prallte mit einem Knie gegen die untere Tür. Mit schmerzverzerrtem Gesicht taumelte er hinaus auf den Flur.
    Nur fort von hier! dachte er.
    Nur fort!
    Christopher wußte nicht, wie lange er brauchte, ehe er den Flur wiederfand, an dem die Zimmer der Geschwister lagen. Sein Knie schmerzte noch immer, aber er war ziemlich sicher, daß es keine ernste Verletzung war. Dennoch humpelte er leicht, als er an der Tür von Daniels Zimmer vorbeikam. Sie war offen.
    Daniel stand im Türrahmen, gekleidet in einen weißen Pyjama. Er war blaß, sein Haar vom Schlaf zerrauft. Sein Blick aber schimmerte stechend und vorwurfsvoll. Christopher fragte sich unwillkürlich, wie lange er schon auf ihn gewartet hatte.
    Daniel klang gereizt. »Mutter schätzt es nicht besonders, wenn jemand nachts durchs Schloß schleicht.«
    »Ich wüßte nicht, was dich das –«
    Eine Bewegung in seinem Rücken ließ Christopher verstummen. Alarmiert fuhr er herum. Nicht schnell genug. Aus dem Augenwinkel sah er noch einen hellen Schemen unterhalb des Gaslichts am Korridorende, dann war die Gestalt schon hinter der Ecke verschwunden.
    Daniel war noch bleicher geworden, als Christopher sich wieder zu ihm umwandte.
    »War das Aura?«
    Daniel verzog das Gesicht. »Geh ins Bett und vergiß es.« Er wollte die Tür schließen, aber Christopher setzte hastig einen Fuß in den Spalt.
    »Was geht zwischen euch beiden vor, hm?«
    Die Tür wurde wieder aufgerissen. Daniel war jetzt sichtlich wütend. Drohend machte er einen Schritt aus dem Zimmer auf Christopher zu, der seinen Fuß zurückzog.
    »Ich hab gesagt, vergiß es einfach. Es geht dich nichts an.«
    Christopher schüttelte stur den Kopf. »Es ist mir egal, was ihr zwei zusammen treibt. Aber ich

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