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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Gillian wurde das Hämmern an der Tür von kraftvollen Stößen abgelöst. Schon hörte er die Metallfüße der Liege über den Steinboden kreischen.
    Gillian fand einen Drehschalter, der das Licht im oberen Raum verlöschen ließ. Dann sprang er über die Stufen in die untere Ebene des Kellers, stürmte achtlos an Hunderten von Requisiten vorüber und erreichte das andere Ende. Seine Erinnerung hatte ihn nicht betrogen. Hier führte eine steile Kohlenrutsche nach oben zur Straße; sie war seit Jahren nicht mehr benutzt worden. Doch noch immer war sie mit schwarzem Staub bedeckt; niemand hatte es für nötig befunden, sie zu reinigen.
    Gillian hörte, wie im oberen Teil des Kellers die Tür endgültig nachgab. Füße schabten über den Boden, als sich die Zwillinge schweigend an die Verfolgung machten.
    Er zog einen buntbeklebten Kasten heran, stellte sich obenauf und stemmte sich in den Kohlenschacht. Die Fugen der Steine waren mit Staub gefüllt, und immer wieder drohte er abzurutschen. Schwarze Schwaden umwogten ihn schon nach wenigen Atemzügen; er versuchte, den Hustenreiz zu unterdrücken, ohne Erfolg. Sein Keuchen lockte die Zwillinge in die richtige Richtung.
    Er mochte die ersten anderthalb Meter bewältigt haben, als die Schritte der beiden unter ihm verstummten. Ein Blick über die Schulter, und da waren sie, starrten mit ihren fahlen Totengesichtern zu ihm herauf.
    Dürre Hände streckten sich, schnappten wie Zangen aus Gebein hinter seinen Sohlen zusammen, ohne ihn packen zu können. Weiter kletterte er und weiter, hatte jetzt die Hälfte hinter sich gebracht. Er konnte nichts mehr sehen, sein eigener Schatten war ihm im Weg. Das obere Ende war dicht, eine Klappe oder – im schlimmsten Fall – eine Eisenplatte. Hoffentlich war sie nicht verschlossen.
    Jetzt schoben sich die Zwillinge hinter ihm her, er hörte das Knirschen ihrer Gelenke. Doch als er sich umschaute, war da nur einer, Stein vielleicht, oder Bein, ganz egal. Der andere mußte zurückgelaufen sein, um ihn draußen abzufangen.
    Gillians Hand stieß im Dunkeln auf Widerstand. Der Ausstieg! Seine Fingerkuppen tasteten über Holz, fanden aber keinen Riegel. Natürlich nicht – eine Kohlenklappe wurde von außen geöffnet, nicht von innen. Also mußte er es mit Gewalt versuchen. Er kletterte noch höher, bis er Kopf und Schultern gegen das Holz pressen konnte. Die Klappe knirschte, gab aber nicht nach. Ein unheilvoller Gedanke schoß ihm durch den Kopf: Wenn etwas draußen stand, ein Karren vielleicht, oder Säcke … Aber, nein, die Klappe war schräg, es konnte nichts darauf stehen.
    Der Zwilling, der ihn verfolgte, war bis auf zwei Meter herangekommen. Noch immer sagte er kein Wort. Gillian erkannte nur seine kantigen Umrisse vor dem Zwielicht des Kellers. Unwillkürlich fragte er sich, warum sein Verfolger nicht auf ihn schoß. Hatte Lysander es sich anders überlegt? Wollte er ihn lebend in die Hände bekommen? Gillian war nicht sicher, ob das ein Grund zum Aufatmen war.
    Ein lautes Knirschen, dann gab die Klappe endlich nach. Gillian war überrascht, als der Widerstand plötzlich wich. Beinahe wäre er abgerutscht, fing sich aber gerade noch und drückte die Klappe mit einer Hand nach außen. Scheppernd kippte sie zur Seite. Behende zog er sich am Rand der Öffnung hinauf, hatte ein Bein schon fast ins Freie geschwungen – als er schlagartig begriff, weshalb die Klappe nachgegeben hatte.
    Vor ihm stand der zweite Zwilling. Seine bleichen Hände schossen auf Gillian zu, packten ihn an den Schultern. Der Hermaphrodit schrie auf, strampelte instinktiv mit den Beinen – und trat dabei seinem Verfolger im Schacht, mehr aus Versehen als mit Absicht, mitten ins Gesicht. Der Zwilling schrie auf und rutschte ein gutes Stück nach unten, ehe auch er neuen Halt fand.
    Derweil wurde Gillian von seinem zweiten Gegner nach oben gerissen, aus der Öffnung heraus in die Düsternis eines Hinterhofs. Hinter einigen Fenstern brannte Licht, aber niemand schien seinen Aufschrei gehört zu haben. Oder ihn hören zu wollen. Seine Füße berührten den Boden, während der Zwilling ihn herumwirbelte und von hinten zu packen versuchte.
    Doch obgleich Lysanders Diener Gillian an Größe und Kraft überlegen waren, konnten sie es nicht mit seiner Geschicklichkeit aufnehmen. In Wien, mit geladenen Revolvern, waren sie im Vorteil gewesen; in einem Handgemenge aber hatte einer allein keine Chance.
    Gillian entwand sich den Armen seines Gegners ohne große Mühe,

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