Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin
vielen Jahren hatte Gillian endlich wieder ein Ziel, an das er glauben konnte.
Aber er wußte auch, daß er allein es nicht schaffen würde. Er brauchte jemanden, der ihm half, jemanden mit einem guten Grund, Lysander den Tod zu wünschen – und den nötigen Mitteln, diesen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen.
Und während er gehetzt durch die Gassen des Montmartre rannte, stinkend, schwitzend, völlig erschöpft, wurde ihm schlagartig klar, an wen er sich wenden mußte.
KAPITEL 8
»Herzlichen Glückwunsch!«
Sylvettes Augen wurden immer größer, während sie neugierig das Päckchen in Christophers Händen anstarrte. Sie versuchte spielerisch, es ihm aus den Fingern zu schnappen. Er aber lachte und hielt es einen Moment lang außerhalb ihrer Reichweite; dann reichte er es ihr.
»Danke!« jubelte sie aufgeregt und wich aus dem Türrahmen zurück in ihr Zimmer. »Vielen, vielen Dank!«
Christopher trat ein und schloß die Tür hinter sich. Es war warm hier drinnen. Die Diener hatten Anweisung, Sylvettes Kinderzimmer stets auf einer angenehmen Temperatur zu halten. Christopher dagegen vergaß seinen eigenen Ofen regelmäßig, was ihn im Bett oft genug jämmerlich frieren ließ. Aber es genügte wohl auch, wenn er auf einen Ofen zu achten hatte. Er war stolz darauf, daß die Flammen des Athanor in den vergangenen vier Monaten kein einziges Mal erloschen waren.
Sylvette ließ sich auf ihr Bett fallen und begann ungeduldig an dem bunten Papier zu zerren. Heute war ihr elfter Geburtstag, und er war das erste Familienmitglied, das ihr gratulierte. Nicht einmal Charlotte war so früh am Morgen, noch vor dem Unterricht, bei ihr gewesen.
Christopher lächelte gutmütig, während Sylvette die Verpackung in Stücke riß, und schaute sich derweil im Zimmer um. Es gab wenig, was darauf schließen ließ, daß es von einem Kind bewohnt wurde. Auf dem Garderobentisch lagen Bürsten und Cremedosen wie bei jeder Erwachsenen, allein zwei Plüschtiere unter dem Baldachin des Himmelbetts waren ein Hinweis auf Sylvettes Alter. Das Bleiglasfenster zeigte einmal mehr eine Leiter, die steil nach oben gen Himmel ragte. Eine große Anzahl Menschen drängte sich auf den Sprossen, doch während die oberen ihr Ziel fast erreicht hatten, wurden die unteren von geflügelten Teufelsgestalten attackiert, die immer wieder einzelne in die Tiefe rissen. Das ganze Bild war in Rot und Gelb gehalten, und die Strahlen der aufgehenden Frühlingssonne erfüllten das Zimmer mit der Illusion glühenden Feuerscheins.
Sylvette gelang es endlich, das letzte Stück der Verpackung zu lösen. Höflich – und ganz und gar damenhaft – überspielte sie mit einem Lächeln ihre Verwunderung über das, was zum Vorschein kam.
»Es ist etwas, das du dir immer gewünscht hast«, sagte Christopher und trat näher an sie heran.
»So?« Ihr Lächeln blieb, aber eine leichte Spur von Enttäuschung hatte sich in ihre Stimme geschlichen.
Es war ein gläsernes Fläschchen, nicht größer als Sylvettes Hand, bis zum Rand mit einer schmutzigbraunen, unappetitlichen Flüssigkeit gefüllt.
»Soll ich das trinken?« fragte die Kleine irritiert.
»O nein, nur nicht«, erwiderte Christopher lachend. »Es würde dir kaum bekommen. Und, so leid es mir tut, es riecht auch ziemlich scheußlich.«
»Aber, Christopher«, sagte sie gedehnt und mit altklugem Blick, »was soll ich denn dann damit anfangen?«
Er setzte sich zu ihr auf die Bettkante, nahm ihr vorsichtig das Fläschchen aus den Fingern und hielt es gegen das Licht. »Erinnerst du dich noch, als du mir von deinem Wunsch erzählt hast, damals, als wir mit dem Boot ums Schloß gerudert sind?«
»Ja, natürlich«, gab sie zurück, immer noch verständnislos.
Christopher nickte und schüttelte das verkorkte Gefäß. »Das hier ist die Lösung. Du hast gesagt, du willst schwarze Haare haben wie Mutter und Aura. Nun, hier sind sie! Oder besser: Hiermit hast du bald welche.«
Ein Leuchten erschien in Sylvettes blauen Augen. »Das da ist Farbe für meine Haare?«
»So was Ähnliches. Ich hab es selbst gemischt.«
»Du? Kannst du das denn?«
»Ich hab eines der Küchenmädchen gebeten, mir eine Strähne ihres blonden Haars abzuschneiden. Ich hab sie hiermit gefärbt, und sie wurde pechschwarz. Genau wie die Haare von Aura und Mutter.«
»Ehrlich?«
»Ehrenwort!« Er hob die Finger zum Schwur.
Das schien sie zu überzeugen, denn plötzlich stieß sie einen hellen Jubellaut aus und fiel ihm um den Hals. Christopher
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