Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche
sicher, die Katharer ha-ben ihren wertvollsten Besitz gut versteckt, vielleicht so gut, dass er nie wieder gefunden wurde.« Er hob die Schultern. »Wir werden se-hen… Auf jeden Fall vermute ich, dass der Alte darauf spekuliert, mit dem Gral und dem Verbum den Respekt der anderen Templerorganisationen zurückzugewinnen. Die Templer sind in Europa nie völlig ausgestorben, und es gibt einige Gruppen, die im Verborgenen operieren und große Macht besitzen. Denken Sie an den gerade begonnenen Krieg. Ich wette, dass die Templer dabei ihre Finger im Spiel haben, auf die eine oder andere Weise. Sie haben schon immer gewusst, was am besten ist für ihre Interessen, und wenn es eben ein Krieg sein soll… Glauben Sie mir, für die bedeutet das nichts. Alles ist erlaubt, es gibt keine Regeln. Ein Schachspiel, bei dem jede Figur die andere schlägt.«
Konstantin stand jetzt voll aufgerichtet hinter Fuente. Sie konnte nicht erkennen, ob er eine Waffe hielt.
Jetzt noch nicht! dachte sie. Er hat noch nicht alles gesagt! Er weiß noch mehr!
Konstantin streckte den Arm aus, und jetzt sah sie den kleinen Revolver in seiner Hand, ihren eigenen, den Fuente ihr im Kastell weggenommen und dort zurückgelassen hatte.
Sein Daumen legte sich auf den Hahn, drückte ihn zurück. Das Knirschen ging im Gesang der Zikaden unter.
»Was ist mit Ihnen?«, fragte Fuente.
Sie wollte etwas sagen, irgendetwas, aber er musste die Wahrheit bereits in ihren Augen gelesen haben, denn noch im selben Atemzug sprang er auf, warf sich nach links und rollte hinter eine Mauer.
»Geh in Deckung!«, brüllte Konstantin, sprang über die Mauer, auf der Fuente gesessen hatte, und folgte ihm. Im Licht der untergehenden Sonne sahen die Steine und Baumgrippe aus wie verrostetes Eisen.
Aura dachte nicht daran, sich zu verkriechen. Sie lief hinter Konstantin her und holte ihn im selben Augenblick ein, als Fuente mit gezogenem Messer hinter einem Mauerrest aufsprang und sich auf seinen Gegner warf. Die Klinge schnitt durch die Luft und verfehlte Konstantins Gesicht um Haaresbreite. Er stolperte, riss den Revolver herum und feuerte.
Doch Fuente war bereits wieder hinter den Steinen abgetaucht und bewegte sich so geschickt durch das hohe Gras, dass Aura einen Moment lang Zweifel kamen, ob er wirklich die Wahrheit gesagt hatte. War er so alt, wie er behauptet hatte? Hatte er Nestor wirklich gekannt?
Ja, dachte sie – und zugleich wurde ihr bewusst, weshalb sie so überzeugt davon war. Fuentes Skrupellosigkeit und Arroganz waren Eigenschaften, die sie von ihrem Vater kannte. Fuente war als kleiner Junge in Nestors Obhut gekommen, und die Jahre an seiner Seite hatten ihn geprägt.
Konstantin feuerte zum zweiten Mal, jetzt auf eine Stelle im Gras, die etwa fünfzehn Meter rechts von ihnen lag. Die Halme raschelten und bewegten sich, doch von Fuente war nichts zu sehen.
»Du hättest warten können, bis er alles erzählt hat«, fauchte sie.
»Nicht nötig«, sagte er, ohne seinen Blick von den Mauern und Sträuchern zu nehmen. »Ich weiß, von welchem Ort er gesprochen hat.«
»Du kennst den Sitz des Tempels?«
Er nickte. »Ich war schon dort, vor vielen Jahren.«
Ein wilder Schrei ließ sie herumfahren, und sie sah Fuente auf sich zukommen, vom Sonnenuntergang mit einer glutroten Kriegsbemalung überzogen.
Konstantins Hand prallte hart gegen ihre Schulter. Sie wurde zur Seite geschleudert und landete im Gras, während dort, wo sie gerade noch gestanden hatte, die lange Messerklinge die Luft durchschnitt.
Ein dritter Schuss peitschte, und diesmal wurde Fuente getroffen. Doch die Verletzung hielt ihn nicht auf, und ehe Konstantin erneut schießen konnte, war sein Gegner vor ihm und schlug ihm die Waffe aus der Hand. Der Revolver verschwand im Gras, während Konstantin in die Knie ging und Fuente ihn am Haar packte, seinen Kopf zurückriss, die Kehle entblößte und mit dem Messer ausholte.
»Nein!« Aura flog regelrecht auf die beiden Männer zu und riss Fuente von Konstantin fort. Ein paar Sekunden lang waren ihre Arme und Beine mit denen Fuentes verschlungen, ein zuckendes Wirrwarr, dazwischen Schreie und Flüche und die Messerklinge, glühend rot wie in das Blut eines Gottes getaucht.
Myléne, durchzuckte es sie. Und Raffael. Und Grimaud.
Sie riss das Knie hoch, traf Fuente nicht zwischen den Beinen, dafür aber in der Magengrube. Er stöhnte auf, und sein Kopf fiel nach vorn. Plötzlich bedeckte sein Haar ihr Gesicht wie ein Vorhang aus Spinnweben.
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