Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche
Angst. Wir reiten weiter, bevor es dunkel wird. Wir können später irgendwo an der Straße schlafen.«
»Gut.«
Er schaute hinüber zu den Pferden. »Und Sie sind sicher, dass es nur ein Hund war?« Zu ihrem Entsetzen zog er das lange Messer aus der Scheide an seinem Bein.
»Vielleicht auch eine Katze.«
Er nickte, augenscheinlich zufrieden. Das Messer glitt zurück in die Scheide.
»Wo waren wir? Ah ja, der Tempel der Schwarzen Isis.« Er trat einen Schritt zurück und setzte sich auf einen Mauerrest.
»Der Orden, jetzt also eine Verbindung aus Templern und Assassinen, war schließlich gezwungen, aufs Festland überzusetzen, und er suchte sich ein neues Zuhause in Spanien. Von den religiösen Idealen war wenig übrig geblieben. Dem Anführer ging es jetzt vor allem um Macht.«
»Dieser Anführer…«
»War der Alte vom Berge«, sagte er zustimmend. »Aber Hassan As Sabbah ist im frühen zwölften Jahrhundert gestorben.«
»1124. Er selbst hat auch nicht mehr erlebt, wie seine Leute sich aus Persien zurückziehen mussten. Zu jenem Zeitpunkt war der Alte vom Berge längst eine Institution geworden, ein Titel, und auch die Großmeister des Tempels der Schwarzen Isis übernahmen ihn. Es hat immer einen Alten vom Berge gegeben, all die Jahrhunderte hindurch.«
»Auch heute noch?« Allmählich verbanden sich einzelne Fäden miteinander, noch nicht klar genug, dass Aura alle entwirren konnte, aber doch immer deutlicher. »Auch heute«, bestätigte Fuente. »Dann ist er es, der Gian gefangen hält?«
»Ja.« Für den mitleidigen Blick, den er ihr zuwarf, hatte sie ihm an die Gurgel gehen können.
»Was will er von Gian? Und von mir?«
»Später, meine Liebe, später. Erst will ich Ihnen erzählen, wie die Geschichte weiterging.«
Sie hatte das Gefühl, Gians Nähe beinahe körperlich zu spüren, und sie brachte keine Geduld mehr auf für weitere Lektionen aus der Geschichte des Isis-Tempels. Trotzdem nahm sie sich zusammen und nickte.
»Der Tempel der Schwarzen Isis operierte im Verborgenen«, sagte Fuente. »Er arbeitete mit den gleichen Methoden, mit denen die Assassinen schon im Orient erfolgreich ihre Macht ausgeweitet hatten – Gewalt, Erpressung und Mord. Darin waren sie wahre Meister, tödliche Kampfmaschinen, wie man sie im Abendland sonst kaum zu se-hen bekam. Die Templer, die sich mit ihnen verbündet hatten, kamen in den Genuss derselben Lehrmeister. Und auch wenn sie es nie zur selben Schnelligkeit und Gewandtheit brachten, waren sie doch bald ihren arabischen Verbündeten fast ebenbürtig. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde der Tempel der Schwarzen Isis zu einer Art geheimer Staatsmacht, die Einfluss nahm auf Könige und Kaiser, und dessen Mitglieder nicht selten selbst die Throne der Mittelmeerreiche bestiegen. Doch unter ihnen gab es auch solche, denen das Bündnis mit den Assassinen zuwider war, und die in der Schwarzen Isis nichts anderes sahen als ein Ebenbild Satans. Diese Gruppe von Zweiflern und Widerständlern trennte sich schließlich vom Orden und gründete ein eigenes Kloster, in dem es keinen Platz gab für Araber und die Einflüsse des Orients. Das Kloster der Weißen Jungfrau, der Virgen Bianca.«
Aura schaute sich in den Ruinen um, äußerlich beeindruckt von Fuentes Erläuterungen, in Wahrheit aber auf der Suche nach Spuren ihres Verfolgers. Konstantin war gewiss ganz in der Nähe und hatte jedes Wort mitgehört.
»Der Orden der Virgen Bianca ging bald zugrunde«, sagte Fuente. »Vermutlich hat der Tempel ihn nicht lange toleriert. Das Kloster ging in Flammen auf, und die meisten Mitglieder kamen dabei ums Leben. Doch auch der Tempel der Schwarzen Isis verlor im Lauf der Jahrhunderte an Bedeutung. Er existiert noch immer, aber sein Einfluss ist geschwunden. Ein Grund mehr für den Alten vom Berge, mit allen Mitteln um neue Macht zu kämpfen. Mit Drohungen und Mord – und mit Entführung.«
»Aber warum hat er ausgerechnet Gian und Tess entführt? Was hat das alles mit Nestors Gral und dem Verbum Dimissum zu tun?«
»Ich denke, der Alte vom Berge hat es selbst auf den Gral abgesehen.«
Eine dunkle Silhouette erhob sich hinter Fuente.
Aura gelang es, ruhig zu bleiben. »Aber Sie haben gesagt, der Ort, an dem er die beiden gefangen hält und das Versteck des Grals sei-en ein und derselbe.«
Fuente nickte. »Möglich, dass der Alte ihn dort gesucht, aber nie gefunden hat. Nestor hat ihn dort zu Zeiten der Katharer gesehen, der Tempel kam erst später dorthin. Ich bin
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