Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche
den Weinbergen des Grafen gearbeitet hatten – damals, bevor Cristóbal die Hänge rund um den See hatte umpflügen lassen und dabei alle Weinreben zerstörte.
Die Berge, die sich über dem Ufer erhoben, waren zu einem aufgewühlten Brachland geworden, durchzogen von einem Netzwerk aus Furchen und tiefen Gruben, die in der Abenddämmerung tiefschwarze Schatten warfen. Über Jahre hinweg hatten hier die Lakaien des Grafen nach etwas gesucht, hatten jeden Quadratmeter umgegraben, an manchen Stellen mehrere Meter tief. Tess hatte keine Vorstellung, wie viel Zeit diese Verwüstung in Anspruch genommen hatte, aber sie hatte die vage Ahnung, dass Dutzende von Arbeitern Jahre dafür benötigt hatten.
Heute waren die Gräben und Wälle längst ausgetrocknet und zu einer bizarren Kraterlandschaft erstarrt. An manchen Stellen ähnelte sie einem grotesken System aus Schützengräben, eng und verwinkelt, angelegt ohne Sinn und Verstand. An anderen hatten die Grabungen unwirkliche Formationen aus Erdreich und Fels hinterlassen und immer wieder hohe Erdaufwürfe wie archaische Hügelgräber.
Tess schätzte, dass der See eine Uferlinie von einigen Kilometern hatte und die Hänge mehrere hundert Meter aufwärts reichten. Das ganze Gelände war gründlich aufgewühlt und umgekrempelt worden. Der Anblick dieser Zerstörung war so unwirklich wie Angst einflößend. Cristóbal mochte sich kultiviert und eitel geben, doch diese Landschaft war wie ein Abbild der Krankheit in seinem Herzen, ein Spiegelbild des Irrsinns, der ihn zerfraß.
Gian bewegte sich im Schlaf, knurrte etwas und saß wieder still. Er hatte sich in die Ecke der Sitzbank geschoben, aber nicht gewagt, auch die Füße hochzulegen, denn die Straßen durch die Sierra waren voller Schlaglöcher. Selbst im Sitzen war es oft schwer, nicht den Halt zu verlieren. Tess war es ein Rätsel, wie Gian unter diesen Umständen schlafen konnte.
Bei der Abfahrt hatten sie sich zum ersten Mal seit dem Gespräch in Tess’ Zimmer wiedergesehen. Beiden war sichtlich unwohl bei der Vorstellung, die nächsten Stunden gemeinsam in der engen Kutsche eingesperrt zu sein, und Tess war sicher, dass Gian dagegen protestiert hatte, bevor man sie in den Hof geführt hatte. Offenbar aber war er mit seinen Einwänden ebenso an Cristóbals Entschlossenheit gescheitert wie sie selbst am Abend zuvor mit ihrer erneuten Forderung, umgehend freigelassen zu werden.
Der Graf hatte sie abends nach dem Essen in ihrem Zimmer besucht. Es war ihre erste Begegnung mit ihm gewesen, abgesehen von den wenigen Malen, die sie ihn unten im Hof beobachtet hatte. Er war freundlich, beinahe zuvorkommend, und nachdem er ihr von Soria und dem Bergland im Osten der Stadt erzählt hatte, von der alten Tradition des Weinanbaus in der Region von Aragon und seinem langjährigen Einsatz für Sorias einziges Waisenhaus, hatte er ihr ruhig und gelassen erklärt, dass er sie töten werde, wenn sie in den kommenden Tagen nicht jede seiner Anweisungen befolgte.
Dennoch hatte sie in der Nacht nicht schlechter oder besser geschlafen als in all den anderen seit dem Überfall auf die Ausgrabungsstätte von Uruk. Sie versuchte, Cristóbal zu hassen, doch ihre Wut und ihre Enttäuschung richteten sich immer wieder auf Gian. Sie wusste nicht, wann der Graf zum ersten Mal Kontakt zu ihm aufgenommen hatte – gewiss noch im Schloss, vermutete sie –, doch die Tatsache, dass Gian seinen Versprechungen geglaubt hatte wie ein dummes Kind, machte sie immer noch fassungslos.
Auf der Fahrt von Soria in die Sierra hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Sie fragte sich, was der Graf damit bezweckte, sie und Gian über Stunden hinweg zusammen einzusperren. Hoffte er, dass sie sich versöhnen würden? Dass es Gian gelingen würde, sie von Cristóbals Zielen zu überzeugen?
Aber Gian machte nicht den leisesten Versuch, Einfluss auf sie zu nehmen. Er wich ihren Blicken aus, ließ sich auf kein Gespräch ein und verhielt sich wie jemand, der allmählich erkannte, was er angerichtet hatte.
Falls es noch eines weiteren Beweises für die Ausweglosigkeit ihrer Lage bedurft hätte, dann war es der Blick aus dem vergitterten Kutschenfenster. Die Abgeschiedenheit dieses Ortes, an dem Cristóbals Handlanger über Jahre hinweg gewütet hatten, zerstörte jede ihrer Hoffnungen, es könne sich doch noch eine Möglichkeit zur Flucht finden.
Die Sonne versank hinter den verwüsteten Berghängen im Westen, als die Kutsche das Ufer erreichte und dem
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