Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche
vor ihn und hielt ihm das Schwert an die Brust. Konstantin blieb stehen, ohne den Lakaien des Grafen eines Blickes zu würdigen. Seine Augen waren düster auf Philippe gerichtet, auf Cristóbal, den Großmeister des Tempels der Schwarzen Isis.
Der Graf schüttelte den Kopf. »Ich hätte dir nicht die Wahrheit sa-gen können, Aura. Du hättest niemals erlaubt, die Kinder hierher zu bringen. Dabei war ich eine Weile lang wirklich nahe daran, es vorzuschlagen, glaub mir. Ich dachte, wenn du die Notwendigkeit einsiehst, wenn du verstehst, wie wichtig es ist…« Sie wollte widersprechen, aber er brachte sie mit einer Geste zum Schweigen. »Nein, ich weiß. Du hättest das niemals zugelassen, so erpicht wie du immer darauf warst, deinen Sohn aus all dem herauszuhalten… Sieh mich nicht so an, Gian hat mir alles erzählt.«
»Er hat – was?«
»Er hat sich bei mir ausgeweint. Dass du nicht akzeptieren kannst, dass er so sein will wie du. Dass du dich geweigert hast, ihn in die Geheimnisse des Gilgamesch-Krauts einzuweihen.«
»Er ist noch ein Kind!«
»Mit sechzehn? Wohl kaum. Du warst selbst nur ein paar Monate älter als er, als du die Wahrheit über deinen Vater erfahren hast. Und du warst siebzehn, als du begonnen hast, seine Forschungen fortzuführen.«
»Ich war vierundzwanzig, als ich das Gilgamesch-Kraut eingenommen habe!«
»Weil es nicht früher ging. Sei doch ehrlich, Aura. Das Kraut braucht sieben Jahre, um auf dem Grab eines Unsterblichen zu wachsen. Du konntest es gar nicht früher anwenden. Aber wenn du die Möglichkeit gehabt hättest… Mach dir doch nichts vor! Dein Alter hätte überhaupt keine Rolle gespielt. Und Gian sieht es genauso. Er ist dein Sohn! Er ähnelt dir in so vielem, jeder sieht das – nur du nicht.«
Sie hatte sich mühsam beherrscht, seit sie den Raum betreten hat-te. Jetzt aber spürte sie, dass sie sich kaum noch unter Kontrolle hat-te. Ihre Finger zuckten, und sie war drauf und dran, sich auf ihn zu stürzen. Cristóbal erkannte es und gab einem der Assassinen fast beiläufig einen Wink. Der Junge schob sich zwischen sie und den Tisch, das Schwert auf ihre Kehle gerichtet.
»Es geht dir doch gar nicht um Gian.« Sie brachte die Worte nur mühsam hervor. Es war unendlich schwer, ihn nicht anzubrüllen. »Und auch nicht um mich.«
Cristóbal schüttelte den Kopf. »Gian spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle in dieser Angelegenheit. Genauso wie Tess. Ich musste ihm versprechen, dir zu sagen, warum er es getan hat.«
Ihre Zunge fühlte sich an wie aus Stein. »Was getan hat?«
»Warum er sich mir angeschlossen hat.« Der Graf lächelte, aber es war ein Lächeln ohne Humor. »Glaubst du denn wirklich, ich hätte ihn gewaltsam hierher gebracht? Schon bald nachdem du mir von ihm erzählt hast, habe ich Kontakt zu ihm aufgenommen. Am Anfang war er ziemlich widerborstig, wie man es von deinem Sohn erwarten durfte. Aber nach einer Weile hat er erkannt, welche Möglichkeiten ich ihm biete.«
Sie spürte, wie Konstantin ihre Hand ergriff, ungeachtet der Schwertspitze, die sich fester auf seine Brust presste. »Nicht«, flüsterte er besänftigend. »Du darfst nicht zulassen, dass er dir das an-tut.«
»Chevalier Weldon!« Zum ersten Mal wurde Cristóbals Stimme lauter, fast schneidend. »Das hier ist nicht Ihre Angelegenheit. Sie dürfen sich glücklich schätzen, dass Sie noch leben. Ein Fehler, den ich gedenke, zu korrigieren, falls Sie noch einmal versuchen sollten, das Wiedersehen zweier alter Freunde zu stören.«
Aura hatte nichts von all dem bewusst gehört. Ihr Blick fixierte Cristóbal wie eine Stück Wild vor dem Lauf eines Gewehrs.
»Gian ist freiwillig zu dir gekommen?«
»Er hat eingesehen, dass ich ihm all seine Wünsche erfüllen kann.«
»Du bist kein Alchimist!«
»Ein Alchimist? Ich bitte dich, Aura… Du magst unsterblich sein wie dein Vater, aber red dir doch nicht ein, dass das etwas mit Alchimie zu tun hat! Du hast ein paar Krauter gegessen, das ist alles. Die ganzen Experimente im Laboratorium, all die Studien – das alles hättest du dir genauso gut sparen können. Du wärst heute genau dort, wo du jetzt bist, auch ohne all das.« Er schüttelte den Kopf. »Aura Institoris, die Alchimistin… Das sagt nichts über dich aus. Gar nichts.«
Er tat das, was er immer am besten gekonnt hatte – er lenkte von sich ab, um seine eigenen Unzulänglichkeiten mit den ihren zu übertünchen. Früher, als er ihr stundenlang zugehört hatte, scheinbar
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