Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
schaute sich misstrauisch im Treppenhaus um. »Hat der Chevalier Ihnen diesen Namen genannt?«
    »Ja.«
    Sie war drauf und dran, sich umzudrehen und zu verschwinden. Nicht genug damit, dass der Chevalier wusste, wer sie war – er posaunte es offenbar in ganz Paris herum! Und was vielleicht noch schlimmer war: Er hatte offenbar gewusst, dass sie herkommen würde. Und es war gewiss nicht allein das Vertrauen in seinen Charme, das ihn dessen so sicher machte.
    Das Türschloss knirschte. Eine hübsche, junge Frau blickte sie durch den Spalt an. Sie hatte goldblondes Haar, das sie zu Zöpfen geflochten und auf dem Kopf zusammengesteckt hatte. Große, leuchtende Augen musterten sie neugierig. Darunter eine Andeutung von hohen Wangenknochen, aber nicht so stark, dass es markant oder hart aussah. Eine ganz bezaubernde Stupsnase. Sommersprossen auf den Wangen und dem Nasenrücken.
    »Sind Sie allein?«
    Aura nickte.
    »Kommen Sie bitte herein.« Die Tür schwang auf.
    Aura betrat eine weitläufige Diele, deren Stofftapeten und schwere Samtvorhänge in dunklem Rot gehalten waren. Der Raum war zugestellt mit Sofas und Sesseln, Beistelltischen, Kommoden und Regalen, auf denen sich unzählige Kleinigkeiten häuften: Silberne Urnen mit ziselierten Mustern; ein Tabernakel mit dem Relief eines goldenen Lamms; Kerzenleuchter aus Perlmutt, Elfenbein und Keramik; ein Schofar, das Widderhorn, auf dem zum jüdischen Neujahr geblasen wird; gleich daneben eine Thora und ein siebenarmiger Leuchter; eine buddhistische Tara-Statue; eine Glocke, ein Diamantzepter und die weiße Glücksschärpe der Lamas; eine silberne Gebetsmühle; ein Damaru, die rituelle Trommel der tibetanischen Hochlandmönche; und – verstreut zwischen all diesen Kinkerlitzchen und Kostbarkeiten – Statuen, Musikinstrumente und religiöse Artefakte aus Afrika, holzgeschnitzte Masken, Speere, Schilde und Spielzeug.
    Die junge Frau, die Aura empfangen hatte, streckte ihr die Hand entgegen. »Ich bin Salome Kaskaden. Meine Zwillingsschwester erwartet uns im Hinterzimmer.«
    Der Raum, in den sie Aura führte, war nach der übervollen Diele beinahe erschreckend in seiner Schlichtheit. Die Wände waren mit rotem Stoff verhangen, und falls es Fenster gab, waren sie dahinter verborgen. Höchstens drei mal drei Meter groß, wurde das Zimmer von einem kreisrunden Tisch dominiert, um den herum drei Stühle standen. Auf einem davon saß Lucrecia Kaskaden und blickte ihnen entgegen. Sie war das perfekte Ebenbild ihrer Schwester, trug sogar das gleiche weinrote Kleid. Lediglich ihr langes Haar hatte sie im Gegensatz zu Salome zu einem Pferdeschwanz gebunden und von hinten über die Schulter bis auf die Brust drapiert.
    »Frau Institoris?« Sie nickte. »Lucrecia Kaskaden.« Die junge Frau blieb sitzen. Wie ihre Schwester war sie höchstens Anfang zwanzig. »Bitte setzen Sie sich.«
    »Um ehrlich zu sein, bin ich nicht gekommen, um mir aus der Hand lesen zu lassen. Ich hatte gehofft, jemanden zu treffen.«
    »Den Chevalier?«
    Ihr gefiel die Andeutung eines wissenden Lächelns nicht, das sich bei diesen Worten über Lucrecia Kaskadens Züge legte. Ahnte sie, was zwischen Aura und dem Chevalier gewesen war? In welcher Beziehung standen die beiden Schwestern zu ihm? Aura spürte, wie ihre Ungeduld zu Zorn aufwallte.
    »Er hat mir gesagt, dass ich ihn hier treffen könnte.«
    Die Kaskaden-Schwestern wechselten einen Blick. »Das muss ein Missverständnis sein«, sagte Salome verwundert.
    »Dann hat er für heute keinen Termin mit Ihnen vereinbart?«
    »Oh doch, das hat er«, sagte Lucrecia. »Für Sie.«
    Salome ergriff Auras Hand und führte sie zu einem der beiden freien Stühle. »Nehmen Sie Platz. Haben Sie keine Angst.«
    »Gibt es denn etwas, vor dem ich mich fürchten sollte?«
    »Nicht hier«, sagte Lucrecia mysteriös.
    Salome schenkte ihrer Schwester einen tadelnden Blick. »Lassen Sie sich nicht von ihr verrückt machen. Sie tut gerne geheimnisvoll. Dabei ist das alles längst nicht so rätselhaft, wie es scheint. Wir sind Mittler – das ist alles. Für uns gehört das zum Alltag.«
    »Der Chevalier hat die Rechnung bereits bezahlt«, sagte Lucrecia. »Nur für den Fall, dass Ihnen das Sorge bereitet.«
    Aura lächelte kühl. »Dann wollen wir doch hoffen, dass er für sein Geld eine angemessene Gegenleistung erhält.« Salome schüttelte den Kopf. »Bitte, Lucrecia.«
    Aura sah in Lucrecias Augen und erkannte auf Anhieb die Wahrheit. Die junge Frau war eifersüchtig.

Weitere Kostenlose Bücher