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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Mühe gab, ihre Kritik als Vorschlag oder, noch schlimmer, als guten Rat zu kaschieren. Er mochte sie viel zu sehr, um sie zurechtzuweisen, und er hatte das ungute Gefühl, dass ihm eines Tages seine Unentschlossenheit ihr gegenüber zum Verhängnis werden würde.
    Dabei misstraute er nicht einmal ihr, sondern vielmehr sich selbst. Er war auf dem besten Weg, sich zu verlieben.
    Sie schloss rasch zu ihm auf, als sie sich dem Templerpalast näherten. Das trutzige Gemäuer erhob sich wie eine Festung am Ende der Plaza. Das breite, leicht gewölbte Portal stand weit offen. Rechts und links davon erhoben sich zwei Ecktürme mit je sechs Stockwerken, gekrönt von einem Kranz spitzer Zinnen. Die ganze Front wies nur wenige kleine Fenster auf; jene, die keine Läden hatten, waren durch zugezogene Vorhänge abgedunkelt.
    Das Gebäude war ein Kastell der arabischen Eroberer gewesen, ehe König Jaime I. es im frühen dreizehnten Jahrhundert den Tempelrittern übereignet hatte, zum Dank für ihre Hilfe während des Befreiungskrieges. Mehrere hundert Angehörige des Ordens hatten an der Spitze des Heeres gekämpft, das Mallorca nach dreihundert Jahren unter sarazenischer Herrschaft aus der Hand der Moslems befreit hatte. Der Orden hatte sich mit Gütern entlohnen lassen, weiten Gebieten der Insel und ganzen Straßenzügen Palmas. Das ehemalige Kastell wurde zum Sitz ihres Meisters Ramón de Serra und seiner Nachfolger erklärt; von hier aus verwalteten sie die Geschäfte der Templer auf den balearischen Inseln bis zur blutigen Zerschlagung des Ordens im Jahr 1312.
    Heute war freilich nichts übrig vom einstigen Prunk dieses Ortes. Die Mauern des Kastells waren schmutzig, Farbe und Putz auf weiten Flächen abgeblättert. Wo einst Wachtposten mit Schwert und Hellebarde gestanden hatten, warteten Mülleimer darauf, geleert zu werden. Das Tor sah aus, als stünde es Tag und Nacht offen, und in den Türmen und Anbauten befanden sich Wohnungen.
    Gillian bezweifelte, dass sie hier auf etwas stoßen würden, das sie auf die Spur der spanischen Templer führen würde. Lascari hatte vor seinem Tod den Templerpalast von Palma erwähnt, aber was, hatte er geglaubt, würden sie hier finden? Es war sechshundert Jahre her, seit hier zuletzt die Flagge mit dem roten Tatzenkreuz geweht hatte. Die heutigen Bewohner hatten Wäscheleinen von einem Eckturm zum anderen gespannt.
    Und doch – die Botschaft des mysteriösen Escriva gab einen schwachen Anlass zur Hoffnung, wenn Karisma auch anderer Meinung war. Gleich nach ihrer Ankunft im Hafen von Palma hatten sie sich nach einer öffentlichen Bibliothek umgehört und festgestellt, dass es keine gab. Schließlich hatte man sie in eine finstere Spelunke in der Carrer de la Mar geschickt mit dem Hinweis, dort nach einem Mann namens Narcisco Escriva zu fragen. Escriva, so hieß es, könne ihnen möglicherweise mehr zur Templervergangenheit der Balearen erzählen. Sie hatten den Mann nicht angetroffen und beschlossen, es am Abend noch einmal zu versuchen, bevor sie das Risiko eingehen und ihm eine Nachricht mit ihrem Aufenthaltsort hinterlassen würden. Doch ehe sie das Lokal ein zweites Mal hatten aufsuchen können, hatte Escriva Kontakt zu ihnen aufgenommen, in Form einer Brieftaube, die sich auf offener Straße auf Karismas Schulter niedergelassen hatte.
    Die Botschaft am Fuß des Vogels war so kurz wie eindeutig: Casa del Temple – Mitternacht – N. E.
    Karismas Stimme riss Gillian aus seinen Gedanken. »Ist er das?« Sie deutete auf einen schwarzen Umriss, der wie aus dem Nichts unter dem Portal erschienen war. Der Schatten des Torbogens tauchte ihn in völlige Finsternis.
    Gillian blickte angestrengt in die Dunkelheit. »Möglich.«
    Über ihnen flatterten Vogelschwingen in der Nacht.
    Die Gestalt drehte sich um und verschwand im Innenhof jenseits des Portals. Die Enden ihres langen Mantels streiften über das Pflaster.
    »Zumindest hat er ein Faible für spektakuläre Entrees.« Karisma nahm ihr Schwertbündel in die linke Hand, um die Waffe notfalls mit rechts aus dem Tuch ziehen zu können. Im Gegensatz zu Gillian hat-te sie niemals den Wunsch geäußert, statt Klingen Schusswaffen zu tragen. Ihr Umgang mit dem Schwert war meisterlich, ihr Geschick übertraf das von Gillian und aller älteren Brüder bei weitem.
    Gillian trug sein Bündel nach wie vor unter dem Arm. Er wollte keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie in freundlicher Absicht kamen. Kurz überlegte er, Karisma

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