Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche
Gab es andere wie Aura und ihn?
»Sie haben gesagt, Sie und Lascari waren zeitweise Gegner«, sag-te er. »Inwiefern?«
Zum ersten Mal zögerte Narcisco. Mit einer raschen Bewegung scheuchte er die Taube von seiner Hand. Sie flatterte träge zu einer niedrigen Palme hinüber und ließ sich auf einem wippenden Blattwedel nieder. Narcisco schaute ihr gedankenverloren hinterher. »Niemand weiß diese armen Tiere zu schätzen. Alle machen Jagd auf sie.
Nur bei mir finden sie Unterschlupf. Sie kennen mich, wissen Sie? So wie alle hier in der Stadt.«
»Beantworten Sie meine Frage«, sagte Gillian. »Bitte.«
Karisma rührte sich nicht. Ihr ganzer Körper war zum Zerreißen gespannt.
»Tauben sind überaus treue Tiere«, sagte Narcisco. »Sie halten zu einem, anders als manch falscher Freund.«
»Sie glauben, Lascari hätte Sie verraten?«
»Verraten mag ein zu starkes Wort sein. Er hat mich fallenlassen, nachdem ihm klar wurde, dass ich ihm nicht weiterhelfen konnte. Ich habe ihn kreuz und quer über die Insel geführt, auf seiner Suche nach diesem Hirngespinst von einem Schatz. Und als er schließlich erkannt hat, dass wir nichts finden würden, machte er mich dafür verantwortlich. Er hat behauptet, ich würde mit dieser ominösen spanischen Bruderschaft unter einer Decke stecken, und warf mich aus dem Orden.
Lebt Giacomo noch? Er könnte Ihnen meine Geschichte bestätigen.«
»Kein gutes Argument«, sagte Karisma grimmig. »Bruder Giacomo ist Tausende von Kilometern entfernt.«
Narcisco holte tief Luft, und einen Moment lang sah es aus, als würde er die Beherrschung verlieren. Doch der Schatten um seine Augen mochte eine Täuschung gewesen sein, denn als der Alte einen Schritt vortrat, wirkte er wieder genauso gelassen wie zuvor.
»Hören Sie«, sagte er, »ich denke, es spielt keine Rolle mehr, in welcher Beziehung Lascari und ich zueinander standen. Das alles ist beinahe ein halbes Jahrhundert her. Sie wollten mich sprechen, um mehr über die Templer und den Schatz zu erfahren. Also stellen Sie Ihre Fragen.«
Karisma wollte abermals auffahren, doch diesmal brachte Gillian sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Was hat Lascari auf die Idee gebracht, ausgerechnet hier auf Mallorca nach dem Schatz zu suchen?«, fragte er.
»Der Orden der Tempelritter wurde zur Zeit der Kreuzzüge in Palästina gegründet, das wissen Sie natürlich. Die ersten Ordensbrüder sollten den Tempel Salomos in Jerusalem bewachen, aber es dauerte nicht lange, da begannen sie, ihre Macht über den Orient auszuweiten. Wir sprechen hier vom frühen zwölften Jahrhundert. Die Templer wurden zur offiziellen Militia des Vatikans ernannt, und von da an war ihr Aufstieg nicht mehr aufzuhalten. Bald gehörten dem Orden zahlreiche Festungen und Gebiete im Heiligen Land, und später, als sie von dort in die Heimat zurückkehrten, weitete sich ihr Einfluss auf die Länder Europas aus. Zweihundert Jahre lang verwalteten sie ihre Güter wie Könige, erließen eigene Gesetze und sorgten dafür, dass ihre Untergebenen weder hungern mussten noch durch überhöhte Abgaben verarmten. Für damalige Zeiten waren das große Errungenschaften. Schließlich aber wollten sich der König von Frank-reich und der Papst nicht mehr mit dem Einfluss des Ordens abfinden. Sie glaubten, die Templer tanzten ihnen auf der Nase herum, und sicherlich lagen sie damit nicht ganz falsch. Kurzerhand erklärte man den Orden zum Feind der Kirche und seine Angehörigen zu Satansdienern, die sich in ihren Klöstern und Burgen der Unzucht und Teufelsanbetung verschrieben hätten. Zwei Jahrhunderte nach der Gründung des Ordens endeten seine Anführer in Paris auf dem Scheiterhaufen. Der Rest der Tempelritter wurde in alle Winde zerstreut.«
»Das wissen wir alles«, sagte Karisma ungeduldig.
Narcisco lächelte milde. »Hier auf Mallorca gab es seit der Vertreibung der Sarazenen eine mächtige Templerkolonie, die in diesen Mauern ihren Hauptsitz hatte. Als auf dem Festland die Verfolgung des Ordens begann, entschlossen sich auch die Brüder hier auf der Insel zur Flucht. Sie nahmen nur das Nötigste mit und setzten nach Spanien über. Ihre Spur verliert sich irgendwo in den Weiten Kastiliens. Manche behaupten, sie hätten sich wie einige ihrer spanischen und französischen Brüder nach Portugal durchgeschlagen, wo der dortige König ihnen Sicherheit versprach. Doch Beweise dafür gibt es nicht.«
Karisma entspannte sich ein wenig. »Und Lascari war der Ansicht, der
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