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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Mochte auch kaum jemand für möglich halten, dass der Krieg länger als ein paar Wochen dauern oder gar bis nach Paris vordringen würde, so schien nach der ersten Woge der Begeisterung nun doch ein wenig Vernunft einzukehren.
    Menschenmassen schoben sich an ihr vorbei, aber Aura versuchte, dem Chaos keine Beachtung zu schenken. Raffaels Worte gingen ihr nicht aus dem Sinn, und sie verfluchte abwechselnd ihn und sich selbst für das, was er gesagt hatte. Ihn, weil er ihre Ängste so rücksichtslos ausgesprochen hatte, und sich selbst, weil sie diese Dinge seit Gillians Verschwinden mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt hatte.
    Der Zug nach Toulouse stand bereit, aber die Türen waren noch verschlossen. Die Menschen auf dem Bahnsteig wurden mit jeder Minute ungeduldiger. Schon wurden die ersten wütenden Rufe laut. Vorhin war irgendwo ein Fenster zerbrochen.
    Grundgütiger, wo bin ich hier nur hineingeraten?
    Derjenige, der die Spur der sechsfingrigen Hand für sie ausgelegt und Grimaud getötet hatte, konnte sich überall in der Menge verstecken. Dasselbe galt für den Chevalier. Beide Männer – vorausgesetzt, es war nicht ohnehin ein und derselbe – mochten sich ganz in ihrer Nähe aufhalten. Neben ihr. Hinter ihr. Und sie würde es nicht einmal bemerken.
    Sie ertappte sich dabei, wie sie misstrauische Blicke auf die Leute warf, obwohl sie wusste, dass sie niemanden erkennen würde.
    Ein Gendarm in zu kleiner Uniform erschien ihr verdächtig. Nicht weit von ihm steckte ein Kofferträger mit seinem Karren in der Menge fest, der immer wieder verstohlen zu ihr herüberblickte. Und dann war da ein Mann, dessen Bart aussah, als wäre er angeklebt. Ganz zu schweigen von den Frauen, deren Gesichter im Schatten breiter Hutkrempen lagen.
    Sie schloss für einen Moment die Augen, atmete tief ein und aus, versuchte sich zu entspannen.
    Als sie die Lider wieder hob, waren der Gendarm und der Mann mit dem Bart verschwunden. Der Kofferträger hatte seine Aufmerksamkeit einem der drei Mädchen neben ihr auf der Bank zugewandt.
    Auras Blick fiel auf einen jungen Mann, dem der linke Arm fehlte. Mit der rechten Hand hielt er eine gefaltete Zeitung, schaute aber immer wieder über den Rand hinweg in Auras Richtung. Sie war nahe daran, aufzustehen und mit ihm zu streiten, doch sie sagte sich, dass sie dann nicht besser wäre, als all die anderen, die ihrer Ungeduld auf diese Weise Luft machten. So kreuzte sie seinen Blick, als er das nächste Mal herübersah, und war zutiefst irritiert, als er unvermittelt in Tränen ausbrach wie ein Kind. Die Menge schob sich ein paar Schritte weiter, der junge Mann wurde von ihr verschluckt.
    Aura presste die Knie fester gegen ihren Koffer. Außer einigen Kleidungsstücken befanden sich darin ihr Revolver und die herausgerissene Seite aus dem Buch, das sie in Grimauds Bibliothek gefunden hatte. Das Blatt mit dem Bild des Templerkastells in den Pyrenäen.
    Ein heller, metallischer Laut ertönte.
    Sie blickte vor sich auf den Boden und entdeckte einen Schlüssel, den jemand direkt vor ihren Füßen verloren hatte.
    Nicht ihr Problem.
    Dann sah sie den Strohstern, der daran befestigt war. Ein Strohstern mit sechs Zacken.
    Ihr Kopf fuhr hoch, ihr Blick raste über die Flut aus Gesichtern. Vie-le Frauen, aber auch ein paar Männer. Niemand, der ihr Beachtung schenkte. Die Menge setzte sich erneut in Bewegung, als ein Schaffner verkündete, man werde in Kürze die Türen des Zuges öffnen. Füße schoben sich über den Schlüssel, dann war er fort. Sekunden später entdeckte sie ihn einen halben Meter weiter rechts. Der Strohstern war unter den Schuhsohlen zerrieben worden.
    Sie glitt von der Bank und hob den Schlüssel auf. Hinter ihr rückte blitzschnell jemand nach und nahm ihren Platz ein. Sie ließ ihn gewähren, ergriff ihren Koffer und machte sich auf den Weg zur Schalterhalle. Sie bewegte sich gegen den Strom, was sie viel Zeit kostete und ihr ein halbes Dutzend blauer Flecken und eine Reihe übler Beschimpfungen einbrachte. Die Türen des Zuges wurden geöffnet, und die Menschen strömten in die Waggons, als sie endlich den Anfang des Bahnsteigs erreichte. Von hier aus war es nicht weit bis zu den Schließfächern.
    Der Schlüssel in ihrer Hand war kurz und schmal, zu klein für eine Haustür. Die Zahl Sechsundfünfzig war in das obere Ende geprägt.
    Der Raum mit den Schließfächern lag abseits des Hauptstroms der Reisenden. Beide Wände des tunnelähnlichen Einschnitts bestanden aus

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