Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche
Nachforschungen über die Geschichte des Ordens anzustellen und noch dazu mitten in der Nacht zwei Schwerter spazieren zu tragen?« Er seufzte und streckte den Arm aus, als eine dritte Taube heranflatterte, um sich auf seiner Hand niederzulassen. »Lascari hat sich wieder einmal an den Templerschatz erinnert. Warten Sie, sagen Sie nichts, ich weiß, dass das die Wahrheit ist. Es ist nicht das erste Mal, wissen Sie. Er hat es selbst schon versucht, vor etwa… nun, etwa fünfundvierzig Jahren. Hat er Ihnen das nicht gesagt? Er war jung damals, und finanziell stand es gewiss nicht schlecht um ihn – kein Wunder bei der Abstammung. Aber ich glaube nicht, dass es ihm damals tatsächlich um das Geld ging. Er hatte einen penetranten Sinn für Gerechtigkeit, der gute Lascari. Er wollte nicht akzeptieren, dass eine andere Splittergruppe des Ordens fett und zufrieden auf einem Schatz sitzt, auf den er, Lascari, ein anteiliges Anrecht zu haben glaubte. Sehen Sie, die Templer wurden offiziell 1312 aufgelöst, und ihr Besitz ging zu weiten Teilen auf die Johanniter über. Ein wenig haben sich auch die Christusritter gesichert, aber von denen waren die meisten selbst ehemalige Templer, Flüchtlinge, die bei Nacht und Nebel aus Frankreich und Spanien nach Portugal geflohen waren. Den wenigsten war es gelungen, etwas mitzunehmen, das wertvoller war als ein Schwert, ein Harnisch und ein schnelles Pferd. Der Templerorden hatte aufgehört zu existieren. ›Und der Schatz?‹ werden Sie fragen, genau wie Lascari es getan hat.« Bruder Narcisco stieß ein leises Seufzen aus. »Nun… die Christusritter hatten ihn nicht, und ganz sicher nicht die Johanniter. Das wäre ein allzu großer Triumph für sie gewesen, als dass sie ihn geheim gehalten hätten. Setzen wir voraus, der Schatz hat überhaupt jemals existiert, wo ist er dann geblieben? Natürlich hielten sich über all die Jahrhunderte hinweg Gerüchte, dass die Templer im Geheimen weiter existierten. Der Templum Novum ist schließlich der beste Beweis dafür. Lascari aber war fest davon überzeugt, dass es weitere Gruppen gab, die das Tatzenkreuz als Wappen beanspruchten – und natürlich den Schatz. Er hat geglaubt, dass es in Spanien eine mächtige Splittergruppe des Ordens gibt, in deren Besitz sich auch der Schatz befinden müsse. Ich hatte allerdings angenommen, dass er sich von diesen Mutmaßungen verabschiedet hatte, nachdem er mit seinen eigenen Nachforschungen nicht weitergekommen war.« Er lächelte kopfschüttelnd. »Und nun tauchen Sie beide hier auf, und Ihr ganzes Verhalten trägt Lascaris Handschrift, als hätte er Ihnen einen Stempel auf die Stirn gedrückt. Dieser dumme, alte Narr.«
Gillian wusste, dass es der Ehrenkodex gebot, Genugtuung für diese Beleidigung des toten Großmeisters zu fordern, aber ihm war nicht nach einem Streit zumute, geschweige denn nach einem Duell mit einem Greis. Deshalb warf er Bruder Narcisco nur einen bösen Blick zu, den dieser mit einem Schulterzucken quittierte.
»Sie haben den Großmeister gut gekannt«, sagte Karisma. Sie stand noch immer da, als wollte sie jeden Moment das Schwert aus der Scheide reißen.
»Er war ein Freund. Ein Feind. Und zeitweise sogar beides gleichzeitig.« Der alte Mann kicherte. »Ich hoffe, ich verwirre Sie nicht allzu sehr.«
Gillian entspannte sich. »Wir sind nicht gekommen, um mit Ihnen zu streiten.«
»Ich weiß. Sie brauchen meine Hilfe, genau wie Lascari vor Ihnen.«
»Das ist richtig.«
»Augenblick!«, sagte Karisma in Gillians Richtung. »Er behauptet, er sei selbst ein Templer. Zu uns aber gehört er nicht.«
Argwöhnisch wandte sie sich direkt an Narcisco. »Könnte das nicht bedeuten, dass Sie dem spanischen Orden angehören, von dem Lascari gesprochen hat?«
Gillian sah wieder den alten Mann an und schwieg.
»Meine Liebe…« Bruder Narcisco streichelte mit der freien Hand die Taube auf seiner Rechten. »Sie mögen sich für äußerst gewitzt halten, aber Ihre wunderliche Beweiskette krankt schon an einem Fehler im ersten Glied. Ich bin kein Mitglied des Templum Novum, das ist richtig, aber wer sagt Ihnen denn, dass ich es nicht einmal war? Man kann sich vom Orden lösen, ohne den Status eines Bruders zu verlieren.« Er zuckte die Achseln.
»Wenigstens war es in alten Zeiten so.«
Gillian gefiel nicht, wie er die letzten Worte betonte. Wie alt war Narcisco? Rein äußerlich nicht älter als Achtzig. Aber Gillian dachte auch an das, was er selbst war. An das Gilgamesch-Kraut.
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