Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche
Norden der Insel zur Verfügung, von denen aus der Alte vom Berge weiterhin sein Geschäft mit dem Tod betreiben konnte.«
»Und im Gegenzug verwahrten die Assassinen für die Templer den legendären Schatz«, sagte Gillian.
»Es passt alles zusammen, nicht wahr? Mit den Assassinen kam um 1190 auch der Schatz auf die Insel und wurde fortan von ihnen beschützt – im Auftrag der Templer, versteht sich. Die Großmeister in Frankreich werden von all dem nichts geahnt haben. Vermutlich machte man sie glauben, das Transportschiff sei irgendwo im Mittelmeer gesunken und der Schatz verloren gegangen. Jene aber, die die Wahrheit kannten, kamen mit den Befreiern nach Mallorca, bauten hier ihren Einfluss aus und taten sich nun auch offiziell mit den Assassinen zusammen – als Herren und Vasallen, von denen sie angeblich ihre Felder bestellen ließen.«
»Eine Weile lang mag das ja gut gegangen sein«, sagte Karisma. »Aber was geschah mit dem Schatz, als die Templer flohen? Glauben Sie, die Flüchtlinge nahmen ihn mit nach Kastilien oder nach Portugal?«
Narcisco stieß einen tiefen Seufzer aus. Sie waren am Kern des Problems angelangt. »Darauf kann ich Ihnen keine Antwort geben. Zumindest glaube ich nicht, dass er sich noch auf der Insel befindet. Falls es den spanischen Orden tatsächlich gibt, dann ist er vielleicht aus den versprengten Resten der Flüchtlinge von der Insel entstanden. Gut möglich, dass sie irgendwann in den vergangenen sechshundert Jahren den Schatz aufs Festland gebracht haben.«
»Und die Assassinen?«
»Die Moslems, die für die Templer gearbeitet hatten, verschwanden gleich nach deren Flucht. Man weiß nicht, was aus ihnen geworden ist. Die meisten glauben, sie hätten sich ebenfalls davongemacht, andere behaupten, Christen seien bei Nacht und Nebel über sie hergefallen und hätten sie in den Olivenhainen aufgeknüpft. Ich denke allerdings, dass es der Alte vom Berge und seine Männer mit einem wildgewordenen Lynchmob genauso aufgenommen hätten wie mit einer Armee. Nein, vermutlich sind sie tatsächlich weitergezogen, weiß der Teufel, wohin.«
»Kennen Sie den Ort, an dem der Schatz aufbewahrt wurde?«
»Falls es ihn überhaupt je gegeben hat?« Narcisco lachte leise. »Ja, ich denke, ich habe da in der Tat eine Theorie.«
Das ist es, dachte Gillian. Darauf läuft alles hinaus. Jetzt wird er uns seinen Preis nennen.
Narcisco legte den Kopf schräg, blickte von Gillian zu Karisma und sagte dann: »Ich werde Ihnen alles sagen, was ich weiß.«
»Was verlangen Sie dafür?«
»Ahnen Sie das nicht?« Narciscos leises Lachen klang wie das Raspeln von Holz. »Ich bin alt, älter als Sie vermuten. Die meisten Dinge, die in meinem Leben falsch gelaufen sind, habe ich auf die eine oder andere Weise in Ordnung gebracht. Den Streit mit Lascari kann ich nicht ungeschehen machen, aber ich will nicht als jemand sterben, der von seinem Orden verstoßen wurde, ganz gleich, ob zu recht oder unrecht. Und Sie, Gillian, sind der neue Großmeister.«
»Sie wollen, dass ich Ihren Ausschluss aus dem Templum Novum rückgängig mache? Das ist alles?«
»Sie könnten ein warmes Abendessen oben drauflegen.«
Gillian war mit einemmal sehr unbehaglich zumute. Im Grunde wusste er nichts über die Aufgaben eines Großmeisters. »Was muss ich tun?«
Der Alte lachte wieder. »Sie sind noch nicht lange im Amt, was? Sehen Sie, es ist ganz einfach. Sie müssen es nur sagen.«
»Das ist alles?«
Narcisco nickte. »Das ist alles.«
Gillian warf Karisma einen zweifelnden Blick zu, bevor er sich wieder an den alten Mann wandte. »Dann erkläre ich hiermit, dass Sie, Narcisco Escriva, von nun an wieder ein Ritter des Templum Novum sind.«
Erleichterung breitete sich über Narciscos Zügen aus. Er schloss ein paar Sekunden lang die Augen, als ließe er die Worte in seinem Kopf nachhallen.
Gillian kam sich albern und unwissend vor. Es war ein Fehler gewesen, ihn zum Großmeister zu machen. Eine Fehlentscheidung, die ein Sterbender in seinen Fieberfantasien getroffen hatte. Gillian hatte sich den Ritualen des Ordens stets widersetzt, und hätte Lascari nicht gleich zu Beginn einen solchen Narren an ihm gefressen gehabt, hätte man ihn gewiss schon vor Jahren exkommuniziert. Die meiste Zeit hatte er damit verbracht, die riesige Bibliothek des Palazzo Lascari in Venedig zu archivieren. Oft hatte ihn der Meister auch eingesetzt, um Schriften in anderen Städten und Ländern aufzuspüren. Lascari hatte gewusst, wie sehr
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