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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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verraten, und sie hat mich verraten. Ihn hat sie vergrault, und bei mir versucht sie jetzt das Gleiche. Sie will doch nur, dass ich sie hasse! Damit ich so bald wie möglich von selbst aus ihrem Leben verschwinde und sie es wieder für sich allein hat. Für sich und ihre verdammte Alchimie!«
    »So ist es nicht. Das weißt du genau. Und du hasst sie nicht. Vielleicht denkst du das im Moment, vielleicht denkt sogar sie selbst es. Aber du hasst sie nicht, glaub mir.«
    »Du redest wie ein Prediger.«
    Tess trat vor und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. Die Kamele brüllten noch lauter. Irgendwo schlug ein Hund an und ließ sich nicht mehr beruhigen.
    Er starrte sie stumm an. Seine Wange war rot, wo ihre Finger sie getroffen hatten. Aber er rührte sich nicht.
    Ich verliere ihn, dachte Tess mit plötzlicher Gewissheit. Ich verliere ihn, wie Aura ihn verloren hat.
    Sie sahen einander an, und plötzlich waren sie Erwachsene im schwersten Moment ihres Lebens. Eine Entscheidung musste getroffen werden, aber Tess wagte nicht, sie in Worte zu fassen, nicht einmal in Gedanken.
    »Du hättest das nicht tun dürfen«, flüsterte sie. »Du hast alles kaputtgemacht.«
    »Mehr als du denkst.« Aber er sagte es so leise, dass sie nicht si-cher war, ob sie ihn richtig verstanden hatte.
    Tränen stiegen ihr in die Augen, und nun war sie es, die sich abwenden musste, damit er es nicht sah.
    Als sie sich wieder umdrehte, war er fort. So schnell, so leise.
    Seine Spuren führten nicht zurück zum Haus, wie sie im ersten Moment vermutete. Sie verloren sich im Schatten zwischen den Schuppen, führten den farblosen Sandbuckel empor. Hinauf auf die Düne. Dahinter, jenseits des Kamms, war nichts als Wüste. Tausend Kilometer und mehr.
    »Gian!« Sie lief los, brach durch die Schatten wie durch sanfte Vorhänge, die ihre Haut umwehten. Folgte ihm den Hang hinauf, trat Sandschollen los, sank bei jedem Schritt bis zu den Knöcheln ein.
    »Gian, verdammt noch mal!«
    Er benahm sich wie ein bockiger kleiner Junge. Lief einfach davon, als könnte er dadurch irgendetwas ungeschehen machen. Idiotisch.
    Sie war bald außer Atem und sog scharf die Luft durch Mund und Nase ein. Wieder bemerkte sie den Geruch nach Rauch und Feuer, doch sie achtete nicht darauf. Sie musste Gian zur Vernunft bringen. Er musste einsehen, dass es so nicht ging. Sie hatte nicht vor, jede Nacht ihre Zimmertür zu verriegeln, nur auf die Gefahr hin, dass er wieder einmal Lust auf die Vergangenheit verspürte, Lust darauf, seiner Mutter eines auszuwischen. Er musste seinen Fehler einsehen, und sie würde dafür sorgen, Herrgott noch mal! Hier und jetzt, heute Nacht, und wenn es sein musste, auch dort draußen in der Wüste. Erst dann konnte alles zwischen ihnen wieder so werden, wie es gewesen war.
    Du machst dir etwas vor. Du belügst dich selbst. Du hast ihn doch gesehen, hast ihn gehört. Er wollte es so. Er wusste genau, was er getan hat. Dass er dich verletzt hat. Dass er dein Vertrauen missbraucht hat.
    Du weißt es, verflucht, und du willst es nicht wahrhaben!
    Sie erreichte den Dünenkamm und blieb stehen, atemlos, eine Hand in die Seite gepresst.
    Sie konnte ihn jetzt wieder sehen, unten im nächsten Dünental, keine hundert Meter entfernt. Und nicht nur ihn.
    Da waren andere. Mehrere Umrisse, die sich schwarz vom hellen Sand abhoben.
    Sie hatten ein Fahrzeug dabei, ein Automobil mit breiten Reifen. Im Lager gab es eines, das ganz ähnlich aussah. Der Professor fluchte oft, dass es zu nichts zu gebrauchen sei, da sich die Räder immerzu im Sand festfraßen. Dies hier schien ein besseres Modell zu sein. Tess konnte Reifenspuren im Sand erkennen, zwei Schattenschlangen, die sich über die Ebene und um die nächste Düne wanden.
    Eine der Silhouetten hatte Gian am Oberarm gepackt und redete auf ihn ein. Gian versuchte sich loszureißen, doch der Mann hielt ihn fest.
    Sie unterdrückte den Drang, seinen Namen zu rufen, und ließ sich flach in den Sand fallen. Sie wusste nicht, ob eine der Gestalten dort unten sie bemerkt hatte. Wusste nur, dass sie Gian helfen musste. Am besten, sie lief zurück zum Lager.
    Schüsse peitschten. Hinter ihr. Und mit ihnen trieb der Wind beißenden Brandgeruch heran. Dies war nicht der Rauch eines Lagerfeuers, unmöglich.
    Sie blickte über ihre Schulter, aber sie lag zu flach am Boden, um etwas sehen zu können. Hin und her gerissen zwischen ihrer panischen Sorge um Gian und ihrer Verwirrung über den Lärm zögerte sie für ein, zwei

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