Die Aldi-Welt
Discounter?« Antwort: »Überhaupt nicht.« – »Um was geht es dann?« – »Um das deutsche Alltagsleben.« – »Schön, nicht?« – »Ja.« Man sieht, der Preis ist heiß.
Auf der Suche nach dem Homo supermercatus
Wie tickt der Konsument? Warum rast er mit starrem Blick durch Fußgängerzonen, die doch eigens dafür angelegt sind, ihn zum Flanieren zu bewegen, zum Bummeln? Warum wird aber jedes Risiko auf sich genommen, eine Schnellstraße zu überqueren, um an einen mcdonaldisierten Fleischklops zu gelangen? Bauknecht weiß, was Frauen wünschen? Weiß Bauknecht das wirklich? Vielleicht doch lieber einen Miele-Geschirrspüler, weil die für die Ewigkeit sind? Was will der Kunde? Da hilft nur die Wissenschaft, und eine fröhliche ist es beileibe nicht, die da Kaufgewohnheiten unters Mikroskop legt. Jeder Schritt, jede Bewegung, die Kunden in Läden vollziehen, ist Gegenstand der Forschung. Die Anordnung von Waren, die Beleuchtung, die Hintergrundmusik – alles gehorcht einem höheren Ziel, der Verführung zum Kaufrausch. Und obwohl vermutlich jeder Konsument weiß, daß er als gläserner Kunde herumläuft, ist dies den meisten doch reichlich gleichgültig. Allen diesen unreflektiert zu Werke gehenden Vertretern der Spezies Homo supermercatus sei das folgende Kapitel gewidmet.
Es gibt eine Wissenschaft des Einkaufens. Und ihr oberster Lehrer, ihr Guru, ist – naturgemäß – ein Amerikaner. Der Mann heißt Paco Underhill. Sein Unternehmen Envirosell hat auf seiner Kundenliste alles, was im weltweiten Geschäft Rang und Namen hat: Philip Morris, Sony Music, AT & T, Coca-Cola, Calvin Klein, Procter & Gamble, McDonald’s, Exxon, Citibank, Apple Computer, Deutsche Bank. Die Liste ließe sich fortsetzen. Alle diese Firmen suchten und suchen Rat bei Underhill in der für sie entscheidenden Frage: Warum kauft der Kunde das, was er kauft? Und weiter: Wie können wir ihn dazu bringen, unser Produkt zu kaufen?
Underhill ist ein Schüler des Anthropologen William Whyte. Der hatte sein Fach damit revolutioniert, indem er Kameras auf öffentlichen Plätzen in Manhattan aufstellte und mit vielen Bildern festhielt, was einen Platz zum Leben brachte und einen anderen ewig tot bleiben ließ. Dieses empirische Erkenntnisinstrument eröffnete dem Studenten Paco Underhill eine neue Welt. Er begann seine Laufbahn als eine Art Landvermesser in der Großstadt: Er installierte auf Hochhäusern in nordamerikanischen Metropolen Kameras und zeichnete den Verkehrsfluß und die Bewegungen der Fußgänger auf. Der Job erwies sich für ihn auf Dauer als unhaltbar: Er bekam Alpträume von endlosen Stürzen, in denen er von eben jenen Hochhäusern fiel, die ihm sein Einkommen sicherten. Also sattelte er um. Die Idee war, wie alle großen Ideen, ziemlich schlicht. Die Methoden der Anthropologie, die er an der Universität gelernt hatte, mußten sich ebenso wie auf Verkehrsströme auf Menschen in Geschäften anwenden lassen. Underhill begann, die Kunden auszuspionieren. Er installierte Kameras in Tiefkühltruhen von Supermärkten, um festzustellen, wie lange Hausfrauen in den eisigen Tiefen nach ihrer Lieblingspizza zu wühlen bereit waren. Er filmte jeden Quadratzentimeter der Läden, sammelte jedes Detail und kam zu erstaunlichen Schlußfolgerungen. Die überwältigende Mehrheit der Kaufentscheidungen wird dort getroffen, wo es um die Wurst geht: im Laden und nirgends sonst. Da helfen keine Einkaufszettel. Bis zu 70 Prozent dessen, was in Supermärkten an die Kasse geschaufelt wird, ist ganz und gar ungeplant. Natürlich weigert man sich, das zu glauben. Schließlich sind wir alle mündige Käufer und durchaus im Vollbesitz unserer geistigen Kräfte. Wir wissen natürlich längst, daß wir nicht hungrig zum Einkaufen gehen dürfen, wir ahnen, in welcher Regalhöhe uns die teuren, aber attraktiven Waren dargeboten werden; und doch sind wir nicht Herren und Damen unserer selbst, wenn wir kaufen.
Mit dieser simplen Botschaft hat Paco Underhill ein Millionenunternehmen auf die Beine gestellt. Bei Auftragseingang bestückt er den betreffenden Laden mit bis zu sechs Kameras und verfolgt das Geschehen für mehrere Tage. Auf diese Weise hat sich in den eineinhalb Jahrzehnten des Bestehens von Envirosell eine solche Menge Dokumentationsmaterials angesammelt, daß Underhill heute in Verbindung mit modernen Datenbanken einen konsumistischen Ehrentempel sein eigen nennen darf. Das hat sich herumgesprochen; ein solcher Mann ist Gold
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