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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Hintermeier
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Beschaffung von Luxusgütern, die wiederum in großem Stil produziert werden mußten. Ist Aldi also ein Unternehmen, das den Luxus unter die Leute bringt? Im Prinzip ja.
     
     
    Und der Artdirector schließlich rundet die Sache dahingehend ab, daß ihm Aldi »eine Auswahlkrise« erspare. Schließlich, fügt der Aldianer Uwe Beyer hinzu: »Beim Aldi kommen alle Formen von Kultur und Altersstufen zusammen.« Wie recht der Mann hat. Wo doch schon im Kinderkochbuch Aldi Piccoli der Discounter als das wahre Paradies gerühmt wird. Im Vorwort schreibt ein gewisser Paul Hesselbach, Vorstandsmitglied des Ersten Deutschen Aldi-Fan-Clubs: »Aldi ist die Zukunft, nicht nur unter dem Aspekt, preiswürdig einzukaufen, sondern auch unter dem Aspekt, preiswürdige Qualität durch Anwendung adäquat umzusetzen.« Was immer mit adäquater Umsetzung gemeint sein könnte (vermutlich der Kochvorgang), die Würde des Preises bleibt auf jeden Fall unantastbar. Und wo sich Zukunftswollen und Gegenwartssparen so würdig vereinen, kann einem schon ein gedanklicher Nebel zu Kopfe steigen. So schreibt Hesselbach: »Wir benötigen nicht nur die Vervielfältigung unserer Überzeugung in der Gegenwart, wir brauchen auch Katalysatoren für unsere Zukunft. Gerade in der heutigen Zeit der reduzierten Einkommen ist es notwendig, den Weg unserer Vorstellung für die Zukunft zu ebnen.«
    Die Vervielfältigung des Nutzmenschentyps, der Normkäufer im 450-Produkt-Sortiment? Hesselbachs »Mein Kauf«, gerade in der heutigen Zeit: Die Welt als Aldi und Vorstellung.
    »Also, bekennen wir uns zum Discounter Aldi und arbeiten so für eine bessere, ehrlichere und genußreichere Zukunft.« So, Aldianer, lautet das zeitgenössische Glaubensbekenntnis. Sprechen Sie mir nach: Ich glaube an den einen Aldi…
    Wenn es nicht dastünde, man könnte es kaum glauben, dieses gar nicht Ironische, das am Ende ins Transzendentale hinüberlappt, und das alles wegen ein paar Pfennigen Preisunterschied. »Bereitet die Kinder vor, unsere mühsam durchgesetzten und gegen eine oberflächlich orientierte Gesellschaft ausgerichteten Erkenntnisse in die Zukunft zu tragen, und gebt den Kindern die Möglichkeit, die Zukunft All die Tage glücklich zu meistern.« (Hervorhebung im Original). Amen.
    »Die Erde hat ihre Grenzen, aber die menschliche Dummheit ist unendlich«, schreibt Gustave Flaubert. Eine freiwillige Hirnwäsche mit Aldi-Produkten ist vermutlich nur der nächste Schritt auf dem Weg zur totalen Aldisierung der Geistesrepublik. Ein charismatischer Chefeinkäufer, und schon hätten wir ein riesiges Potential für den Sprung der Aldi-Partei in den Bundestag. Welch erdrutschartiger Sieg da möglich wäre. Die Kohls-Waigels-Kinkels samt und sonders einer Preisreduzierung zum Opfer gefallen, Schröder-Scharping-Lafontaine zurück an die Basis, Aldi-Laster fahren. Der Euro umbenannt in Aldi. Nicht 3,0 sind die Konvergenzkriterien, sondern, selbstverständlich 1,99. Im langen Eugen eine Aldi-Filiale, der Bundesadler hält das Aldi-Logo. Möllemann zum Filialleiter in Daddelhausen abkommandiert, Westerwelle schiebt Einkaufswagen unters schützende Wellblech.
    Der Artikel über die Aldianer, das soll zur Ehrenrettung der Zeit-Leserschaft nicht verschwiegen werden, hat dem Magazin nicht gerade viele Freunde gemacht. In Leserbriefen (immerhin sieben wurden abgedruckt) äußerte sich dann doch Volkes Empörung über die lange, für Aldi kostenlose Werbestrecke. Ein Leser beklagte sich, »daß die zehnseitige Aldi-Anzeige nicht als Anzeige im presserechtlichen Sinne gekennzeichnet ist«; eine Leserin rückte die Sache so zurecht: »Die Damen und Herren Aldianer scheinen in ihrer neuentdeckten Leichtigkeit des Supermarktes noch nicht bemerkt zu haben, daß Aldi weder Pfandprodukte noch umweltschonende Artikel im Programm hat«. Ins gleiche Horn stieß eine andere aufgebrachte Leserin, die anregte, die Verbraucher sollten sich nicht in wirtschaftliche Abhängigkeit von Großerzeugern begeben, sondern »sich (…) fragen, ob ihr momentan günstiger Einkauf unserer Gesellschaft und Umwelt in Zukunft nicht teuer zu stehen kommt.« Und schließlich meldete sich eine Frau zu Wort, die stellvertretend für viele den Zynismus auf den Punkt brachte, den die als »Aldianer« vorgeführten Besserverdiener in ihren Aussagen versteckt hatten, indem für diese – wie die Autorin des Leserbriefs meinte – jene »Leute, die gezwungenermaßen zu Aldi gehen, nur eine skurrile spannende Kulisse

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