Die Aldi-Welt
Einzelhandel zur Kenntnis nehmen, daß der Kunde immer komplizierter, undurchschaubarer und anspruchsvoller wird.
Um dem gestiegenen Bedarf an Kundenanalyse entgegenzukommen, haben Firmen begonnen, Kundenprofile nach Typen zusammenzustellen. Die Firma Ciaritas hat beispielsweise im US-Bundesstaat Virginia Haushalt für Haushalt untersucht und in 62 Typenklassen eingeteilt: Pools und Veranden, Gewehre und Pickups, Boheme-Mischung und so fort. Damit lassen sich erstaunlich präzise Vorhersagen über Markenwahl und Statuskäufe machen. Bis auf den Rasierklingentyp genau.
Geschmack, Moden, Ansprüche der Kunden sind in den Industriestaaten einem rasanten und permanenten Wandel unterzogen. Heute noch hip, ist morgen schon der Schnee von vorgestern. Bis zum nächsten Revival kann es lange dauern. Man denke in Deutschland an den Boom eines merkwürdigen Getränks namens Apfelkorn, der auf keiner Party Ende der siebziger Jahre fehlen durfte; er verschwand so radikal von der Bühne wie in den fünfziger Jahren Escorial grün, und mit einemmal, Mitte der neunziger Jahre, wurde Apfelkorn einem Revival-Versuch unterzogen; richtig geklappt hat das nicht. Underhill hält sich zugute, daß seine Untersuchungen immer auf die Masse, nie auf das Individuum zielen. Was nur logisch ist, in einer Gesellschaft, die sich nach Massen definiert. Wehe, wenn die Massen losgelassen.
Das Grundmuster menschlicher Fortbewegung setzt sich im Einkaufsverhalten fort. Wir gehen, wie wir Auto fahren: rechts beziehungsweise mit einem Rechtsdrall. Je schneller wir gehen, desto mehr engt sich unser Blickfeld ein, desto weniger nehmen wir wahr. Ganz schlecht, aus der Sicht eines Ladens, der uns dazu bringen soll, sein Schaufenster beziehungsweise im besten Fall sein Inneres zu betreten. Das größte Problem besteht zunächst darin, einen (schnell) gehenden Menschen zum Anhalten zu bringen. Wie ein Supertanker nicht abrupt anhalten kann, läßt sich der Schritt nicht innerhalb von Sekunden auf Tempo Null bringen. Das muß auslaufen. Zwischen drei und acht Metern liegt die Strecke, die eilige Menschen brauchen, um anzuhalten. Goldene Regel Nummer eins: Plaziere deinen Laden niemals neben einer Bank; denn dort beschleunigen alle, weil es in deren Auslagen nichts zu sehen gibt. Die Kunst der Verführung besteht also darin, den potentiellen Kunden von Gehgeschwindigkeit auf Einkaufsgeschwindigkeit herunterzuholen. Das geschieht, gemäß der Lehre Underhills, in der sogenannten Dekompressionszone; der Übergangszone zwischen Außenwelt und Innenwelt. Weil in dieser Phase sich nichts ereignet, was vom Kassenbon aus betrachtet durchschlagend wäre, empfiehlt der Guru von Envirosell, in diesem Bereich nichts, aber auch gar nichts von größerem Wert zu plazieren aus dem simplen Grund, weil der Kunde es ohnehin nicht wahrnimmt.
Im Laden selbst gilt das unveränderliche Gesetz des Rechtsdralls. Wenn der Kunde durch die Dekompressionszone gelangt ist, muß er seinen Blick neu justieren. Und das geschieht – Underhill kann es mit vielen hunderttausend Metern Videoband beweisen – stets mit einem leichten Ruck nach rechts. Deshalb rät der Fachmann: Alles, was von Wert ist und eine hohe Profitspanne hat, nach rechts und möglichst weit in den Hintergrund des Ladens verfrachten. Nach dem ersten Rechtsruck wendet sich der Blick im 45-Grad-Winkel nach rechts: dort plaziere, was dir Kohle bringt.
Auf jeden Fall vermieden werden muß – und damit sind wir wieder bei Underhill – der von ihm definierte »ass-brush-factor«, also die Möglichkeit, daß es im Gedränge zu enger Warengassen zu einer Atergo-Konfrontation mit der Nebeneinkäuferin kommt. Besonders Frauen reagieren auf solche Kontakte höchst allergisch und stellen die Ware sofort ins Regal zurück. Es gibt bislang keine Erklärung für dieses Phänomen; es hat nur für den Absatz von teuren Artikeln wie Kosmetik eine fundamentale Bedeutung. Je weniger Po-Kontakt, desto besser. Andererseits dürfen die Abstände zwischen Wühltischen und Regalen nicht zu groß sein, damit beim Kunden keine Agoraphobie, keine Angst vor zu großen Plätzen aufkeimen kann… Modernste Lichtgestaltung tut ein übriges, die Waren stets frisch aussehen zu lassen. Wobei sich sinnigerweise die Fleisch- und Wursttheken zum Rotlichtmilieu entwickelt haben: Rotes Licht läßt Fleischbatzen appetitlicher erscheinen; unser Verhältnis zum Tier als Schlachtware und deren Prostitution als »Stück Lebenskraft« gehen hier noch
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