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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Hintermeier
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wert. Heute jettet Underhill rund um den Globus, um seine Botschaft an die gut bezahlenden Klienten zu bringen. Wer glaubt, er habe dabei irgendwelche Skrupel, dem Kapital in die Hände zu arbeiten, irrt: Underhill begreift sich als den wahren Anwalt des zahlenden Publikums aus dem einfachen Grund, weil er als erst-einziger den Käufer als das enttarnt hat, was er ist: ein unbekanntes Wesen.
    Der Kampf um den Kunden hat besonders in den Zeiten der Rezession verschärfte Formen angenommen. In den USA, Underhills bevorzugtem Forschungsland, hat sich die durchschnittliche Aufenthaltsdauer eines durchschnittlichen Einkäufers in einer Shopping Mall auf zuletzt 66 Minuten reduziert – den niedrigsten Stand, der je registriert wurde. Und das bei einem flächenmäßigen Angebot, das permanent wächst: In den letzten 20 Jahren hat sich die Angebotsfläche pro US-Käufer verdoppelt. Resultat: Gewinnspannen schrumpfen, Kundenfang wird immer intensiver betrieben und erforscht. Nicht umsonst ist die berühmteste Einkaufsfläche der westlichen Welt – Manhattan – das zentrale Experimentierfeld für diesen Jagd(be)trieb. Das ist für Underhill ein Heimspiel; dort kennt er jeden Quadratmeter und ist doch immer wieder erstaunt, mit welcher Demut neuerdings die Manager der großen Konsumtempel zu Werke gehen. So zitierte der New Yorker in einer Reportage über Underhill den Präsidenten der Kette Gap mit den Worten: »Die Arroganz ist weg. Arroganz macht Fehler. Wenn man glaubt, die Antwort zu wissen, ist es meistens schon fast vorbei.«
     
     
    Underhill, der Anthropologe des Einzelhandels, sammelt das, was hierzulande ein sogenanntes Nachrichtenmagazin für sich reklamiert: Fakten, Fakten, Fakten. Zu diesen Fakten zählt zum Beispiel, daß Frauen die wesentlich geduldigeren Einkäufer sind. Frauen lassen sich auch viel länger Zeit, während sich Männer leicht ablenken lassen. Der Punkt der Verwirrung, wo alles danach drängt, den Laden wieder zu verlassen, ist bei Männern wesentlich früher erreicht. Kein Wunder, daß Frauen auch mehr als zwei Drittel des Geldes ausgeben.
    Männer muß man an die Hand nehmen. Man muß ihnen vorkauen, wie es gehen könnte: Also liegen neben den Unterhosen die Socken, dann die Hemden mit den passenden Krawatten, alles farblich so abgestimmt, daß keine allzugroßen Pannen auftreten können. Frauen reagieren auf solche Arrangements allergisch; sie wollen selbst auswählen, selbst kombinieren.
    Einer englischen Studie zufolge verhalten sich Männer so, weil in ihnen noch der steinzeitliche Jagdtrieb schlummert. Treffen sie unvermittelt in der Mitte einer Gasse auf ein riesiges Arrangement von turmhohen Lebkuchen, sagt das Überlebensgen »Hallo« und bläst zum Angriff. Der gewiefte Einzelhändler baut die Barrikaden so, daß es zum Gefecht kommen muß. Und die tapferen Männer schlagen zu – und kaufen. Frauen dagegen schweifen mit verlangsamter Lidfrequenz, wie unter Narkose, mit weit offenen Augen durch den Supermarkt. Erst wenn sie die Beute geschnappt haben, normalisiert sich die Lidfrequenz wieder.
    Zum unumstößlichen Erkenntnisgewinn der Neuzeit gehört Underhills Forschungsergebnis, man habe einen historischen Moment in der Geschichte der Vereinigten Staaten erreicht: Zum ersten Mal kauften Männer ihre Unterhosen selbst. Um dieser Sensation entgegenzukommen, gehen immer mehr gehobene Textilgeschäfte dazu über, die Waren auf großen Tischen auszulegen, weil ein großer Teil der Kaufentscheidungen vom Tastsinn – wie sich also die Boxershorts, der Cashmere-Pullover anfühlen – abhängig sind. Große Tische sind Einladungen zum Berühren. Das hängt schlicht damit zusammen, wo wir unser Essen einnehmen.
    Väter sind überhaupt dabei, ihren Status als »Geldbörsenträger« beim Familieneinkauf abzulegen, auch wenn sie nach wie vor schlechter nein sagen können als Mütter. Männer sind die spontaneren Kunden. Sie ziehen häufig ohne Einkaufszettel (oder Gutscheine) los, sehen eine Ware, gehen schnurstracks auf sie zu und kaufen. Wenn das Kindchen zielsicher das Keksregal ansteuert (für die lieben Kleinen sind die Leckerlis durchaus in angemessener Tiefe angeordnet), um kurz vor der Kasse noch richtig hochpreisig hinzulangen, hat der Trick des Supermarkt-Designers funktioniert. – Nur, so einfach sind die Dinge ja nicht mehr: Manche Väter von heute wissen das auch und umgehen gezielt diese Warengasse, wie Paco Underhill herausgefunden hat. Mit einem tiefen Seufzer muß der

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