Die Aldi-Welt
einmal, zum letztenmal vor der Pfanne, eine unheimliche Allianz ein.
Wenn der Kunde dort hinten ist, dann ist er ganz tief im Bauch des Wals, und da muß er auch hin; denn nur dort gibt es, was er immer braucht: Milch und Butter. Vier von fünf Kunden schlagen hier zu. Und also sind verkaufslogische Supermärkte so eingerichtet, daß niemand mit einem Schlag an die Grundnahrungsmittel kommt. Durch den Parcours müssen sie allesamt.
Die Topographie des Konsums ist naturgemäß en detail erforscht. Ladenbauer arrangieren heute die Supermärkte so, daß kein Entrinnen möglich ist. Die Verlockung in Lebensmittelläden beginnt in der Dekompressionszone mit Grünfutter. Das unterscheidet den Discounter, der auf eingeschweißte Ware setzt, vom klassischen Supermarkt. Hier kann man die genormten Äpfel und Gurken, die garantiert biologisch angebauten Spritzmittelwaren noch persönlich in (auch sinngemäß passende) Plastikbeutel eintüten. »Frische-Impuls« nennt das der Fachmann.
Ganz und gar unverzichtbar ist die musikalische Berieselung aus unsichtbaren Deckenlautsprechern. Die Pampe soll Wohlbehagen verbreiten, den Käufer auf einem Soundteppich durch den Laden schweben lassen, nur unterbrochen von Ansagen wie »Unsere Frischfleischabteilung empfiehlt heute…«. Muzak, wie dieser Tonbrei in der englischsprachigen Welt heißt, wird auch in Deutschland längst professionell von Radiostationen angeboten. Der in Kiel beheimatete P. S.-Sender beispielsweise versorgt via Satellit 5000 Supermärkte im ganzen Land. Dabei wird die Musik natürlich nach der Tageszeit und dem zu erwartenden Publikum abgestimmt: When it’s Rentnertime, dann kommt es konservativer, deutscher auch; wenn mittags die Schulkinder auflaufen, dudelt der Popverschnitt.
Alles erforscht und doch nicht wirklich bekannt. Der unbedingte Glaube an die Dienstleistung sollte immer auch die Demut vor dem Kunden beinhalten, predigt Paco Underhill. Der Kunde ist ein amorphes Wesen, heute hier, morgen fort. So gläsern ihn Maniacs wie Underhill auch gemacht haben, dingfest ist der Homo supermercatus offenbar noch nicht gemacht. So wirklich beruhigend ist das nicht. Schließlich wird damit unter dem Deckmantel der Konsumentenbetreuung noch mehr gefilmt, archiviert, überwacht. Die Resultate werden verwendet, um das Netz der Verführung immer effizienter zusammenzuziehen, um in einem ganzheitlichen Ansatz einen Garten Eden einzurichten, dessen Vogelgezwitscher nur den Bedeutungsinhalt Konsum kennt. Der Aufwand ist beträchtlich; das Ergebnis im ganzen gesehen, auch.
Unverbrüchliche Kundentreue
Was das alles mit Aldi zu tun hat? Nicht allzuviel.
Viele innerstädtische Aldi-Filialen machen eher den Eindruck, man habe sich bei der Einteilung den baulichen Gegebenheiten anpassen müssen; die Neueröffnungen auf der grünen Wiese sind dagegen erkennbar luftiger und kundenfreundlicher geplant. Aber von Underhills Erkenntnissen scheinen die Planer bei Aldi nicht allzuviel zu halten. Die Dekompressionszone sieht zum Beispiel so aus, daß man zwischen zwei sich elektrisch öffnenden Türen hindurchgeschleust wird, eingesogen mit hörbarem Schwung beim Öffnen, und dann kommt mit deutlichem Plopp das Signal, drinnen zu sein. Auf Underhills Cashmere-Pullover, zum Anwärmen und Streicheln, wartet der Kunde vergeblich. Der erste Kontakt sieht entweder zylindrisch und kalt aus – Getränkedosen – oder wie eine Wand aus schimmernden Ziegelsteinen – Albrecht-Kaffee. Auch die Laufrichtung ist nicht in allen Filialen gleich – auch hier tut sich eine Forschungslücke auf: Setzen Filialen mit Uhrzeigersinnroute weniger um als andere? Was macht der fehlende Frische-Impuls aus?
Schließlich: Was weiß man über die Aldi-Käufer wirklich? Soviel auf jeden Fall: Es ist kein Minderheitenprogramm, das da vor den Augen einer staunenden Mehrheit sich abspielt. Es ist ein Massenprogramm, dem man mit Zahlen eben nur bedingt beikommen kann. Denn ohne Statistik geht bei der Marktforschung gar nichts. Gibt es so etwas wie den typischen Aldi-Kunden überhaupt? Und wenn ja, wie sieht er aus? Und vor allem: Warum ist er zu einem Aldi-Kunden geworden – und geblieben? Darüber gibt es natürlich keine Nachrichten aus dem Hause Aldi. Aber es gibt eine Studie der renommierten Frankfurter Marktforschungsfirma A. C. Nielsen aus dem Jahre 1994, die die FMCG-Produktpalette bei Aldi erfaßt. FMCG steht für Fast Moving Consumer Goods, das sind Produkte des täglichen Bedarfs
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