Die alte Jungfer (German Edition)
jungen Mannes, während bei einer reichen Partie natürlich ein Auge zugedrückt wird. Zwischen der Verderbtheit gewisser Verhältnisse und einer echten Liebe kann ein vermögensloser gemütvoller Mann nicht zaudern: er zieht die Leiden der Tugend den Leiden des Lasters vor. Aber in der Provinz sind die Frauen, in die sich ein junger Mann verlieben kann, selten: ein schönes, reiches junges Mädchen würde in einem Lande, wo alles Berechnung ist, nie die Seine werden; ein armes schönes Mädchen zu lieben ist ihm untersagt, denn das hieße, wie die Provinzialen es ausdrücken, den Hunger mit dem Durst vermählen; eine mönchische Einsamkeit ist jedoch der Jugend unzuträglich. Diese Gründe geben die Erklärung, warum das Provinzleben so vornehmlich auf der Ehe begründet ist. Daher müssen glühende, heftig begehrende Naturen, die gezwungen sind, sich aus ihrer Notlage eine Unabhängigkeit zu schaffen, aus jenen kalten Regionen fliehen, wo das Geistesleben von einer brutalen Gleichgültigkeit verfolgt wird, wo keine Frau das Los eines Mannes der Wissenschaft oder eines Künstlers teilen möchte oder könnte. Wer vermag die Leidenschaft, die Athanase für Mademoiselle Cormon hegte, zu begreifen? Weder die Reichen, diese Sultane der Gesellschaft, die ihre Harems dort finden, noch die Spießbürger, welche auf der ausgetretenen Landstraße der Vorurteile einhertrotten, noch die Frauen, die der Leidenschaft der Künstler verständnislos gegenüberstehen und ihnen als Erwiderung ihre Tugenden entgegenhalten, weil sie glauben, daß die beiden Geschlechter von denselben Gesetzen regiert werden. Hier muß man sich wohl an die jungen Menschen wenden, die in der Zeit, wo alle ihre Kräfte sich spannen, unter ihren ersten unterdrückten Begierden leiden; an die an ihrem Genie krankenden Künstler, die in der Umklammerung der Not ersticken; an die mit Talenten Begabten, die oft jeden Halts und aller Freunde entbehren und über die doppelte Pein des Leibes und der Seele, welche gleiche Schmerzen verursachen, schließlich doch Sieger geblieben sind. Alle diese kennen die nagenden Schmerzen, die Athanase verzehrten; sie alle haben angesichts der großen Ziele, zu denen ihnen die Wege abgeschnitten waren, lange, ratlose Erwägungen in ihrem Hirn hin und her gewälzt; sie alle haben das Verdorren der Hoffnungskeime erfahren, wenn der Same des schaffenden Genies auf dürren Sand fällt. Sie wissen, daß die Kraft der Begierden im Verhältnis zu der Größe der Phantasie steht. Je höher sie sich aufschwingen, desto tiefer fallen sie; und wie viele Bande reißen nicht bei solchem Sturz! Ihr glühendes Auge hat wie Athanase eine Zukunft voll Glanz erblickt, die sie erwartete und von der sie sich nur durch einen dünnen Flor getrennt glaubten; diesen Flor, der ihre Blicke nicht aufhielt, hat die Gesellschaft in eine Mauer aus Erz verwandelt. Von einer Berufung, von der Liebe zur Kunst getrieben, haben sie wohl auch manchmal versucht, sich Gefühle, die die Gesellschaft fortwährend materiell ausnützt, zweckdienlich zu machen. Was! In der Provinz werden die Heiraten ganz und gar zu dem Zweck geschlossen, sich ein behagliches Dasein zu schaffen, und einem armen Künstler, einem Mann der Wissenschaft sollte es verboten sein, der Ehe eine doppelte Bestimmung zu geben, sie als Mittel zu gebrauchen, sich durch eine sichere Existenz die Möglichkeit der Gedankenarbeit zu schaffen? Von solchen Ideen bewegt, betrachtete Athanase Granson anfangs die Heirat mit Mademoiselle Cormon von dem Gesichtspunkt, daß er dadurch in den Stand gesetzt würde, seinem Leben eine bestimmte abschließende Richtung zu geben; er würde den Weg des Ruhms einschlagen, seine Mutter glücklich machen können, und er hielt sich für fähig, Mademoiselle Cormon treulich zu lieben. Bald schuf sich sein eigener Wille, ohne daß er dessen gewahr wurde, eine echte Leidenschaft: er beschäftigte sich eingehend mit dem alten Mädchen, und schließlich, durch den Zauber, den die Gewohnheit webt, kam er dazu, nur noch das Schöne in ihr zu sehen und ihre Fehler zu vergessen. Bei einem jungen Mann von dreiundzwanzig Jahren haben die Sinne einen so großen Teil an der Liebe! Ihre Glut erzeugt eine Art Prisma zwischen seinen Augen und der Frau. In dieser Hinsicht ist die Umarmung, in der sich Cherubin auf der Bühne Marcellines bemächtigt, ein genialer Zug bei Beaumarchais. Aber wenn man bedenkt, daß in der tiefen Einsamkeit, in welche die Not Athanase versenkte, Mademoiselle
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