Die alte Jungfer (German Edition)
keuschen Suzanne der Bibel war sie von den Greisen kaum mit den Augen berührt worden, und so ließ sie sich glücklich und voller Hoffnungen in Paris nieder, während ganz Alençon ihr Mißgeschick beklagte, für das die Damen der beiden Vereine, der Wohltätigkeitsverein und der Mütterfürsorgeverein, eine lebhafte Sympathie an den Tag legten. Kann Suzanne als Typus jener schönen Normanninnen gelten, die, wie ein gelehrter Arzt festgestellt hat, für den Verbrauch, den das monströse Paris auf diesem Gebiet hat, den dritten Teil stellen, so muß gesagt werden, daß sie in den obersten und anständigsten Schichten der Galanterie verblieb. Zu einer Zeit, wo, wie Monsieur de Valois sagte, die Frau nicht mehr existierte, wurde sie bloß ›Madame du Val-Noble‹; früher wäre sie die Rivalin der Rhodope, der Imperia, der Ninon gewesen. Einer der ersten. Schriftsteller der Restauration nahm sie unter seinen Schutz, vielleicht wird er sie heiraten; er ist Journalist und steht mithin über der öffentlichen Meinung, weil er alle sechs Jahre eine neue fabrizierte.
In Frankreich gibt es fast in jeder Präfektur zweiten Ranges einen Salon, in dem sich die hochgestellten und angesehenen Personen, die jedoch noch keineswegs die Crême der Gesellschaft sind, zu versammeln pflegen. Der Herr und die Herrin des Hauses gehören wohl zu den Spitzen der Stadt und werden überall empfangen, wo es ihnen beliebt hinzugehen; es findet kein Fest, kein diplomatisches Diner statt, ohne daß sie eingeladen werden. Jedoch die Schloßbesitzer, die Pairs, die schöne Besitzungen haben, die hohe Gesellschaft, des Departements kommen nicht zu ihnen und beschränken den Verkehr mit ihnen auf einen gegenseitigen Besuch, ein angenommenes und erwidertes Diner, eine Abendgesellschaft. Dieser gemischte Salon, wo sich der niedere Adel mit festem Posten, der Klerus, das Beamtentum trifft, übt einen großen Einfluß aus. Die Vernunft und der Geist des Landes haben ihren Sitz in dieser soliden, prunklosen Gesellschaft, wo jeder die Einkünfte des Nachbars kennt, wo man eine vollkommene Gleichgültigkeit für den Luxus und die Toilette an den Tag legt, die man im Vergleich zu einem ›Ochsentaschentuch‹, das heißt einem Stück Feld von zehn oder zwölf Morgen, dessen Erwerb der Gegenstand jahrelanger Erwägung und unendlicher diplomatischer Unterhandlungen ist, als Kinderei betrachtet. Unerschütterlich in ihren guten oder schlechten Vorurteilen, verfolgt diese Clique denselben Weg, ohne rückwärts oder vorwärts zu blicken. Sie läßt nichts, was aus Paris kommt, ohne ein langes Examen zu, sträubt sich gegen die Kaschmirschals ebenso wie gegen die Staatspapiere, spottet der Neuheiten, liest nichts und ignoriert alles: Wissenschaft, Literatur, industrielle Erfindungen. Sagt ihr ein Präfekt nicht zu, so verlangt sie einen andern, und wenn sich der Administrator widersetzt, isoliert sie ihn nach Art der Bienen, welche eine Schnecke, die in ihren Bienenkorb gekrochen ist, mit Wachs bedecken. Dort werden die Klatschereien oft feierliche Urteilssprüche. Obwohl man da nur Spielpartien arrangiert, finden sich doch hie und da junge Frauen ein; sie kommen hin, um sich den Beifall für ihr gutes Betragen zu holen oder sich ihre Wichtigkeit bestätigen zu lassen. Oft wird die Eigenliebe einiger Alteingesessener dadurch verletzt, daß man einem Haus solche Oberherrschaft einräumt; doch trösten sie sich, wenn sie bedenken, welche Kosten solche führende Stellung verursacht, und ziehen lieber selbst Nutzen daraus. Wenn die wichtigen Persönlichkeiten nicht reich genug sind, um offenes Haus zu halten, wählen sie zum Ort der Zusammenkunft, wie die Leute von Alençon, das Haus einer harmlosen Person, deren gesetzte Lebensweise, deren Charakter oder Stellung so beschaffen ist, daß sie die Gesellschaft bei sich Herr sein läßt, so daß niemandes Eitelkeit oder Interessen; verletzt werden. So war es seit langem in Alençon der Brauch, daß die gute Gesellschaft bei der alten Jungfer zusammenkam, auf deren Vermögen es, ohne daß sie es wußte, Madame Granson, ihre Cousine dritten Grades, und die beiden alten Junggesellen, deren geheime Hoffnungen vorhin .enthüllt worden sind, abgesehen hatten. Mademoiselle Cormon lebte mit ihrem Onkel mütterlicherseits zusammen, einem ehemaligen Großvikar des Bistums Séez, der ehedem ihr Vormund gewesen war und den sie beerben sollte. Die Familie, die Rose-Marie-Victoire Cormon repräsentierte, zählte früher zu den
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