Die alte Jungfer (German Edition)
um eine kurze Unterredung mit Madame Granson und wurde von ihr in das Schlafzimmer geführt. Als Suzanne wegging, blickte sie zum zweitenmal Athanase an, den sie noch in derselben Stellung fand; sie drängte ihre Tränen zurück. Madame Granson hingegen strahlte vor Freude. Endlich hatte sie eine schreckliche Waffe gegen Du Bousquier in die Hand bekommen, mit der sie ihm eine tödliche Wunde würde beibringen können. Sie hatte dem armen Mädchen den Schutz aller Wohltätigkeitsdamen, aller Mitglieder des Mütterfürsorgevereins versprochen ..., sie sah voraus, daß ein Dutzend Besuche, während welcher sich über dem Haupte des alten Junggesellen ein schreckliches Gewitter zusammenziehen mußte, ihren Tag ausfüllen würden. So gut der Chevalier de Valois die Wendung der Dinge auch vorausgesehen hatte, er hatte sich doch keinen so großen Skandal, als tatsächlich daraus entstand, versprochen.
»Mein liebes Kind«, sagte Madame Granson zu ihrem Sohn, »du weißt, wir essen heute bei Mademoiselle Cormon, verwende etwas mehr Sorgfalt auf deinen Anzug. Du solltest deine Toilette nicht so sehr vernachlässigen, du gehst einher wie ein Strolch. Zieh dein schönes Hemd mit der Krause an und deinen grünen Tuchrock! Ich habe meine Gründe?« fügte sie mit schlauer Miene hinzu, »Übrigens reist Mademoiselle Cormon nach Le Prebaudet, und es wird heute viel Besuch bei ihr sein. Wenn ein junger Mann heiraten will, muß er alles aufbieten, um zu gefallen, Mein Gott, wenn die Mädchen die Wahrheit sagen wollten, würdest du sehr erstaunt sein, mein Kind, zu hören, was sie verliebt macht. Oft genügt es, daß ein Mann an der Spitze einer Kompanie Soldaten vorüberreitet oder daß er mit knapp anliegenden Beinkleidern auf einem Ball erscheint. Eine Wendung des Kopfes, eine melancholische Haltung nehmen oft schon die Phantasie gefangen; man schmiedet sich einen Roman um den Helden. Er ist oft zwar nur ein Dummkopf, aber die Heirat ist gemacht. Studiere den Chevalier de Valois, nimm seine Manieren an; paß auf, wie er sich mit Leichtigkeit bewegt, er hat kein so gezwungenes Wesen wie du! Rede ein bißchen! Man könnte meinen, du kannst gar nichts, wo du doch sogar Hebräisch verstehst!«
Athanase hörte seine Mutter mit erstaunter, doch willfähriger Miene an; dann stand er auf, nahm seine Mütze und begab sich ins Rathaus, ›Ob meine Mutter mein Geheimnis erraten hat?‹ fragte er sich.
Er ging durch die Rue du Val-Noble, wo Mademoiselle Cormon wohnte. Dieses kleine Vergnügen gönnte er sich jeden Morgen, und er ließ sich dann tausend phantastische Dinge durch den Kopf gehen: ›Sie hat sicherlich keine Ahnung, daß in diesem Augenblick ein junger Mann an ihrem Hause vorbeigeht, der sie von Herzen lieben würde, ihr treu bliebe, ihr keinen Kummer machte und ihr die Verfügung über ihr Vermögen ließe, ohne sich einzumischen. Mein Gott, wie seltsam ist das! Zwei Menschen in der Lage, in der wir uns befinden, in derselben Stadt, zwei Schritte voneinander entfernt, und nichts kann sie zusammenbringen. Wenn ich heute abend mit ihr spräche?‹
Währenddessen ging Suzanne nach Hause zu ihrer Mutter und dachte an den armen Athanase. Sie fühlte die Fähigkeit in sich, ihm mit ihrem schönen Körper den Weg zu bahnen, daß er flugs zu seiner Krone käme, so wie es schon viele Frauen für einen Mann, den sie übermenschlich liebten, erträumt haben.
Jetzt ist es notwendig, daß wir bei der alten Jungfer eintreten, die der Mittelpunkt so vieler zusammenlaufender Interessen war und bei der sich die handelnden Personen dieses Schauspiels mit Ausnahme von Suzanne noch an demselben Abend treffen sollten. Diese letztere, kühn genug, um am Anfang ihres Lebens, wie Alexander, die Schiffe hinter sich zu verbrennen und den Kampf mit einer erlogenen Verfehlung zu beginnen, verschwand von der Bühne, nachdem sie so ein gewichtiges Interesse in die Handlung verflochten hatte. Ihre Wünsche sollten übrigens vollständig in Erfüllung gehen. Sie verließ ihre Vaterstadt einige Tage danach, mit Geld und allerhand schönen Putzsachen versehen, unter denen sich ein prachtvolles Kleid aus grünem Rips und ein entzückender grüner, rosa gefütterter Hut von Monsieur de Valois befand, ein Geschenk, dem sie vor allen andern, selbst vor dem Geld der Damen des Mütterfürsorgevereins, den Vorzug gab. Wäre der Chevalier zu der Zeit nach Paris gekommen, wo sie dort glänzte, sicherlich hätte sie alles um seinetwillen verlassen. Ähnlich der
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