Die alte Jungfer (German Edition)
Mademoiselle Cormon zum Diner einlud und wo die Geladenen des vorigen Mittwochs ihre Dankvisite machten. An jedem Mittwoch war große Gesellschaft, die Versammlung war zahlreich, Gäste und Besucher erschienen im höchsten Staat; einige Frauen brachten ihre Handarbeiten mit, Strickzeug oder Handstickerei, junge Mädchen arbeiteten ungeniert an einem Muster von Alençonspitzen, womit sie ihren Unterhalt verdienten. Manche Ehemänner brachten ihre Frauen aus schlauer Berechnung mit, denn man traf dort wenige junge Leute; kein Wort wurde da ins Ohr gesagt, ohne daß es die Aufmerksamkeit erregte: es bestand also weder für ein junges Mädchen noch für eine junge Frau die Gefahr, daß man ihr einen Liebesantrag machte. Jeden Abend um sechs Uhr bekam das lange Vorzimmer sein Mobiliar; die Stammgäste brachten ihre Spazierstöcke, ihre Mäntel, ihre Laternen. Alle kannten sich so gut, die Gewohnheiten waren so patriarchalisch familiär, daß, wenn zufällig der alte Abbé de Sponde in der Laube und Mademoiselle Cormon auf ihrem Zimmer war, weder Josette, das Zimmermädchen, noch Jacquelin, der Diener, noch die Köchin ihnen den Besuch meldete. Der Erstgekommene erwartete den zweiten; dann, wenn die Stammgäste in genügender Zahl für ein Pikett, ein Whist oder Boston da waren, fingen sie an, ohne auf den Abbé de Sponde oder Mademoiselle zu warten. Wenn es dunkel wurde, kamen auf ein Klingelzeichen Josette oder Jacquelin herbei und machten Licht, Wenn der Abbé den Salon erleuchtet sah, kam er gemächlich herein. Alle Abende waren das Tricktrack, der Pikettisch, die drei Tische für Boston und Whist besetzt, was einen Durchschnitt von fünfundzwanzig bis dreißig Personen ergab, wenn man diejenigen, die plauderten, mitrechnet; doch kamen oft mehr als vierzig. Jacquelin zündete dann auch im Arbeitszimmer und dem Boudoir Licht an. Zwischen acht und neun Uhr kamen die Dienstboten nacheinander ins Vorzimmer, um ihre Herrschaften abzuholen; und wenn es kein sensationelles Vorkommnis gab, war um zehn Uhr kein Mensch mehr im Salon. Um diese Stunde wanderten die Stammgäste in Gruppen durch die Straßen, sprachen über die Trümpfe oder tauschten Bemerkungen über die zum Kauf ausersehenen Felder, die Verteilung von Erbschaften, die Streitigkeiten von Erben oder die Anmaßung der aristokratischen Gesellschaft aus. Es war, als käme man in Paris aus dem Theater. Ein paar Leute, die viel von Poesie sprachen, von der sie nichts verstanden, zogen über die Sitten der Provinz los. Doch legt die Stirn in die linke Hand, stellt einen Fuß auf den Feuerbock, stützt den Ellbogen aufs Knie; dann, wenn ihr den friedlichen, einstimmigen Zusammenklang, den diese Landschaft, dieses Haus und sein Inneres, die Gesellschaft und ihre durch die geistige Enge wie zwischen Pergamentblätter geschlagenes Gold vergrößerten Interessen in euch aufgenommen habt, dann fragt euch, was das Menschenleben ist! Dann entscheidet euch zwischen dem Manne, der auf die ägyptischen Obelisken Enten eingemeißelt hat, und dem, der zwanzig Jahre lang mit Du Bousquier, Monsieur de Valois, Mademoiselle Cormon, dem Präsidenten des Gerichtshofes, dem königlichen Staatsanwalt, dem Abbé de Sponde, Madame Granson e tutti quanti Boston gespielt hat. Wenn die ewig gleiche, alltägliche Wiederkehr der nämlichen Schritte auf dem nämlichen Fußpfade das Glück nicht sind, so täuschen sie das Glück doch so gut vor, daß Menschen, die die Stürme eines bewegten Lebens zum Nachdenken über die Wohltat eines ruhigen Daseins gebracht haben, sagen werden, dies sei das Glück. Um die Bedeutung des Salons von Mademoiselle Cormon in Ziffern auszudrücken, genügt es zu sagen, daß der geborene Statistiker der Gesellschaft, Du Bousquier, ausgerechnet hatte, daß die Personen, die dort verkehrten, hunderteinunddreißig Stimmen in der Wahlversammlung und zusammen, achtzehnhunderttausend Livres Rente in Ländereien der Provinz besaßen. Doch war die Stadt Alençon nicht ganz und gar in diesem Salon vertreten, die hohe aristokratische Gesellschaft hatte den ihren;, außerdem war da noch der Salon des Obersteuereinnehmers, der wie eine von der Regierung eingerichtete Verwaltungsherberge war, wo die ganze Gesellschaft tanzte, intrigierte, schwirrte, liebte und soupierte. Diese beiden andern Salons standen mit dem Hause Cormon durch einige, die da und dort verkehrten, in Verbindung et vice versa. Jedoch der Salon Cormon war ein strenger Richter über das, was in den beiden andern
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