Die alte Jungfer (German Edition)
hypothetischen Schönheit willen wünschen. Der Ehrgeiz Mademoiselle Cormons hatte seinen Ursprung in den zartesten Gefühlen der Frau: sie wollte ihren Geliebten beglücken, indem sie ihm nach der Heirat tausend Tugenden aufdeckte, so wie andere Frauen die tausend Unvollkommenheiten enthüllen, die sie bis dahin sorgfältig verschleiert haben; aber man verstand sie nicht: das edle Mädchen traf nur auf gemeine Seelen, in denen die bare Berechnung der positiven Interessen herrschte und die für die schönen Neigungen des Gefühls kein Verständnis hatten. Je mehr sie sich jenem fatalen Zeitpunkt näherte, den man so sinnreich die ›zweite Jugend‹ nennt, desto größer wurde ihr Mißtrauen. Sie setzte sich aus Verstellung in das ungünstigste Licht und spielte ihre Rolle so gut, daß die zuletzt Angeworbenen zögerten, ihr Los mit dem ihrigen zu verknüpfen, denn das Versteckspielen ihrer Tugend erforderte eine Anstrengung, zu der sich die wenigsten Männer, die eine fix und fertige Tugend haben wollen, hergeben. Die beständige Furcht, daß man sie nur um ihres Vermögens willen heiraten wolle, machte sie unruhig und über die Maßen argwöhnisch. Sie stellte den Reichen nach, und den reichen Leuten stand es natürlich frei, große Heiraten zu schließen; sie fürchtete die armen Leute, denn sie traute ihnen nicht die Uneigennützigkeit zu, die sie forderte: so daß ihre Exklusivität und die Umstände den Männern, die so wie graue Erbsen verlesen wurden, auf eine sonderbare Art ein Licht aufsteckten. Bei jeder fehlgeschlagenen Heirat mußte das arme Mädchen in ihrer Verachtung bestärkt werden und schließlich dazu kommen, die Männer in einem ganz falschen Licht zu sehen. Ihr Charakter gewann allmählich eine geheime Menschenfeindlichkeit, die in ihre Unterhaltung eine leise Bitterkeit und eine gewisse Schroffheit in ihren Blick mischte. Ihre Ehelosigkeit befestigte sie in ihrer zunehmenden Sittenstrenge, denn da sie an ihrer Sache verzweifelte, suchte sie sich zu vervollkommnen. Edle Rache! Sie schliff den von den Männern verworfenen rauhen Diamanten für Gott. Bald wendete sich die öffentliche Meinung gegen sie, denn die Welt bestätigt das Urteil, daß eine Frau, die unvermählt bleibt, weil sie alle Heiraten ausschlägt oder verfehlt, über sich selbst fällt. Jedermann glaubt, daß dieses Sitzenbleiben geheime Ursachen hat, die immer falsch ausgelegt werden. Einer sagte, sie sei mißgestaltet, ein anderer, sie habe verborgene Gebrechen; doch das arme Mädchen war rein wie ein Engel, gesund wie ein Kind und voll guten Willens, denn die Natur hatte sie zu allen Freuden, allem Glück, allen Beschwerden der Mutterschaft bestimmt.
Mademoiselle Cormon fand jedoch in ihrer Erscheinung nicht den nötigen Helfershelfer für ihre Wünsche. Sie besaß keine andere Schönheit als die, die man so unzutreffend ›la beauté du diable‹ nennt und die in einer großen Jugendfrische besteht, welche, theologisch gesprochen, der Teufel ja nicht haben kann, es sei denn, daß damit seine Lust gemeint sei, sich beständig zu verjüngen. Die Füße der Erbin waren groß und platt; ihr Bein, das sie, ohne etwas dabei zu finden, häufig beim Hochheben des Kleides, wenn sie bei Regenwetter aus dem Haus oder der Kirche Saint-Léonard kam, sehen ließ, konnte eigentlich nicht für ein Frauenbein gelten. Es war ein nerviges Bein mit einer recht starken muskulösen Wade wie bei einem Matrosen. Eine gute dicke Brust, ein Ammenbauch, kräftige, mollige Arme, rote Hände entsprachen den rundlichen Formen und der fetten Weiße der normannischen Schönheiten. Mit der Stirn gleichstehende Augen von unbestimmter Farbe gaben ihrem dicken Gesicht, das des Adels der Linien entbehrte, ein erstauntes Aussehen, eine schafsmäßige Einfalt, die sehr gut für eine alte Jungfer paßte: wenn Rose nicht unschuldig gewesen wäre, so hätte sie doch so ausgesehen. Ihre Adlernase stand im Widerspruch zu der niedrigen Stirn, denn es ist selten, daß man bei dieser Form der Nase keine schöne Stirn findet. Trotz ihrer vollen roten Lippen, dem Merkmal großer Güte, mußte man doch nach der Stirn auf zuwenig Klugheit schließen, als daß ihr Herz vom Verstand geleitet sein konnte; sie müßte gutherzig ohne Anmut sein. Man ist eben sehr streng gegen die Mängel der Tugend, während man für die Eigenarten des Lasters voller Nachsicht ist. Ungewöhnlich lange, kastanienbraune Haare gaben dem Gesicht Rose Cormons den Reiz, der in der Kraft und Fülle, den
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