Die alte Jungfer (German Edition)
Hauptzügen ihrer Person lag. Zur Zeit ihrer erhöhten Ansprüche pflegte sie die Dreiviertelansicht ihres Profils zu geben, um ein sehr hübsches Ohr zu zeigen, das sich von dem zarten Weiß ihres Halses und ihrer Schläfen, welches durch die Fülle ihres Haares vertieft wurde, abhob, wenn man sie so im Ballkleid sah, konnte sie für schön gelten. Ihre quellenden Formen, ihre Taille, ihre kräftige Gesundheit entlockten den Offizieren der Kaiserzeit den Ausruf: ›Ein strammes Mädchen!‹ Doch mit den Jahren hatte sich die Fülle, die durch ein ruhiges, keusches Leben noch zugenommen hatte, so schlecht über den ganzen Körper verteilt, daß sie die ursprünglichen Formen zerstört hatte. Nunmehr konnte kein Korsett die Hüften des armen Mädchens, das aus einem Stück gegossen zu sein schien, erkennen lassen. Das frühere Ebenmaß ihres Busens war nicht mehr vorhanden, und sein außergewöhnlicher Umfang gab der Befürchtung Raum, daß sie, wenn sie sich bückte, von den obern Partien zu Boden gerissen würde; doch hatte ihr die Natur ein Gegengewicht gegeben, das die lügnerische Vorsicht einer ›Turnüre‹ überflüssig machte. Bei ihr war alles echt. Das Kinn hatte, indem es sich verdreifachte, die Länge des Halses verringert und die Haltung des Kopfes beeinträchtigt. Rose hatte keine Runzeln, aber Falten, und die Spaßvögel behaupteten, daß sie, um sich nicht wund zu reiben, Puder zwischen die Gelenke streute, wie man es bei kleinen Kindern macht. Diese beleibte Person mußte einem sich in Begierde verzehrenden jungen Manne, wie Athanase, die Art Reize bieten, die seine Phantasie aufstachelten. Denn die junge Einbildungskraft, die lüstern und ungestüm ist, liebt es, in solch lebendigen Kissen zu versinken. Das fette Rebhuhn lockt den Gaumen des Feinschmeckers. Viele elegante verschuldete Pariser hätten sich sehr leicht dazu entschlossen, das Glück Mademoiselle Cormons zu begründen. Aber das arme Mädchen war schon über vierzig. Nunmehr, nachdem sie lange gekämpft hatte, ihrem Leben den Inhalt zu geben, der die Frau erst zur Frau macht, und gezwungen war, Mädchen zu bleiben, befestigte sie sich in ihrer Tugend durch die strengsten religiösen Übungen. Sie hatte ihre Zuflucht zur Religion genommen, dieser großen Trösterin der zu wohl behüteten Jungfräulichkeit. Ein Beichtvater leitete Mademoiselle Cormon in sehr läppischer Weise seit drei Jahren in ihren Kasteiungen. Er empfahl ihr den Gebrauch der Geißel, die, wenn man der modernen Medizin Glauben schenken soll, eine den Erwartungen dieses armen Priesters, dessen hygienische Kenntnisse nicht sehr ausgedehnt waren, entgegengesetzte Wirkung hat. Diese unsinnigen Maßnahmen fingen an, eine klösterliche Färbung über das Gesicht Rose Cormons zu breiten, die oft in Verzweiflung geriet, wenn sie auf ihrem weißen Teint die gelben Töne der Überreife sah. Der leichte Flaum, der ihre Oberlippe zierte, wuchs und zeichnete eine Linie wie von Kohle; die Schläfen bekamen leichte bläuliche Schatten. Kurzum, der Verfall begann. Es war in Alençon bekannt, daß das Blut Mademoiselle Cormon zu schaffen machte. Sie schenkte dem Chevalier de Valois ihr Vertrauen, zählte ihm ihre Fußbäder auf und erwog im Gespräche mit ihm die Anwendung kühlender Mittel. Der Schlauberger zog dann seine Tabaksdose hervor und betrachtete zum Abschluß dieser Erörterungen die Prinzessin Goritza. »Das wahre Beruhigungsmittel, Mademoiselle«, sagte er, »wäre ein schöner, guter Mann.« – »Aber wem sich vertrauen?« erwiderte sie.
Der Chevalier pflegte dann die Tabakskrümel, die sich in die Falten seines seidenen Rockes oder seiner Weste verkrochen hatten, abzuklopfen. Für jedermann wäre diese Handbewegung sehr natürlich gewesen, doch dem armen Mädchen verursachte sie große Ängste. Die Heftigkeit dieser gegenstandslosen Leidenschaft war so groß, daß Rose nicht mehr wagte, einem Mann ins Gesicht zu sehen, so sehr fürchtete sie, daß man in ihren Blicken das Gefühl, von dem sie durchbohrt wurde, lesen könnte. Aus einer Laune, die vielleicht nur die Fortsetzung ihres ehemaligen Verfahrens war, behandelte sie die Männer, die ihr noch zusagen konnten und obwohl sie sich zu ihnen hingezogen fühlte, schlecht, damit man nur ja nicht meinen könnte, sie mache ihnen den Hof. Die meisten Leute der Gesellschaft, denen die Fähigkeit abging, ihre Motive, die immer edel waren, zu verstehen, deuteten ihr Benehmen gegen ihre Mitbrüder im Zölibat dann als Rache
Weitere Kostenlose Bücher