Die alte Jungfer (German Edition)
Lagern vorging; man kritisierte da den Luxus der Diners, man sprach endlos über das Eis auf den Bällen, erörterte das Benehmen der Frauen, die Toiletten und die Neuheiten, die dort auftauchten.
Mademoiselle Cormon, eine Art sozialer Grundpfeiler, um den sich eine imposante Clique scharte, mußte also natürlicherweise der Zielpunkt zweier so tief Ehrgeiziger wie Monsieur de Valois und Du Bousquier werden. Für den einen wie für den ändern war da die Stufe zum Deputierten, und demnach für den Adligen die Pairswürde und für den Lieferanten die Stelle eines Obersteuereinnehmers. Ein maßgebender Salon begründet sich in der Provinz ebenso schwer wie in Paris, doch dieser stand von vornherein fertig da. Mademoiselle Cormon heiraten hieß über Alençon herrschen. Athanase, der einzige der drei Prätendenten auf die Hand der alten Jungfer, der nichts mehr berechnete, liebte die Person ebensosehr wie das Vermögen. War die Lage der vier Personen nicht, um den Tagesjargon zu gebrauchen, eine eigentümliche dramatische Konstellation? Waren diese drei Rivalen, die sich schweigend um ein altes Mädchen drängten, das trotz des glühenden und sehr berechtigten Wunsches, sich zu verheiraten, keine Ahnung davon hatte, nicht seltsam genug? Doch obwohl all diese Umstände es ungewöhnlich erscheinen lassen, daß dieses Mädchen noch nicht verheiratet war, ist es ist nicht schwer zu erklären, wie und warum sie trotz ihres Vermögens und ihrer drei Verliebten noch dem Jungfrauenstande angehörte. Erstens hatte Mademoiselle Cormon, gemäß den Gesetzen ihrer Familie, den Wunsch, einen Edelmann zu heiraten; jedoch von 1789 bis 1799 waren die Verhältnisse für diese Ansprüche sehr ungünstig. Sie wollte eine Frau von Stand sein, hatte aber auch schreckliche Angst vor dem Revolutionstribunal. Diese beiden an Stärke gleichen Gefühle hoben sich nach einem in der Ästhetik wie in der Statik geltenden Gesetze gegenseitig auf. Dieser Zustand der Ungewißheit gefällt übrigens den Mädchen, solange sie sich für jung halten und sich das Recht zuschreiben, einen Gatten zu wählen. Frankreich hat es erfahren, daß das Resultat des von Napoleon befolgten politischen Systems war, recht viele Witwen zu machen. Unter seiner Herrschaft waren die Erbinnen im Vergleich zu den heiratsfähigen Männern sehr in der Überzahl. Als das Konsulat die innere Ordnung der Dinge wiederhergestellt hatte, waren die äußeren Schwierigkeiten für eine Verheiratung Mademoiselle Cormons ebensogroß als vordem. Wenn einerseits Mademoiselle Cormon sich sträubte, einen alten Mann zu heiraten, so verboten ihr die Umstände und die Furcht, sich lächerlich zu machen, einen sehr jungen zu ehelichen. Nun aber verheirateten die Familien ihre Söhne sehr früh, um sie der Gefahr der Konskription zu entziehen. Schließlich hätte sie, aus dem Eigensinn des Besitzenwollens, auch keinen Soldaten genommen; denn sie nahm keinen Mann, um ihn dem Kaiser abzutreten, sie wollte ihn für sich allein haben. Von 1804 bis 1815 war es ihr demnach unmöglich, mit den jungen Mädchen, die sich um die passenden, durch die Kanonen an Zahl verminderten Partien stritten, den Kampf aufzunehmen. Außer ihrer Vorliebe für den Adel hatte Mademoiselle Cormon die sehr entschuldbare fixe Idee, daß sie um ihrer selbst willen geliebt sein wollte. Man würde nicht glauben, wie weit sie dieser Wunsch geführt hatte. Sie hatte ihren Verstand angestrengt, ihren Anbetern tausend Fallen zu legen, um ihre Gefühle auf die Probe zu stellen. Ihre Fußschlingen waren so geschickt gelegt, daß die Unglücklichen alle hereinfielen und den sonderbaren Prüfungen, denen sie sie unterzog, ohne daß sie es wußten, unterlagen. Mademoiselle Cormon studierte sie nicht, sie spionierte sie aus. Ein leicht hingesprochenes Wort, ein von ihr mißverstandener Scherz genügte ihr, um diese Bewerber als unwürdig zu verwerfen: der eine hatte weder Gemüt noch Zartgefühl, der andere log und war ein schlechter Christ; der eine wollte ihr ihre alten Bäume umhauen lassen und unter dem Trauhimmel Geld herausschlagen, der andere war kein Charakter, der sie glücklich machen konnte; dort vermutete sie ererbte Gicht, hier schreckte sie ein unmoralisches Vorleben ab; wie die Kirche beanspruchte sie für ihre Altäre einen schönen Priester; dann wiederum wollte sie ihrer vermeintlichen Häßlichkeit und angeblichen Fehler halber geheiratet werden, wie es andere Frauen um ihrer Vorzüge, die sie nicht besitzen, und
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