Die alte Jungfer (German Edition)
deren Sujet der letzten Szene des ›Deserteur‹ entnommen war und so die ungeheuere Beliebtheit des Werkes von Sedaine bewies. Diese Uhr, aus vergoldetem Kupfer, zeigte elf Personen, von denen jede vier Zoll hoch war: im Hintergrund der Deserteur, der, von Soldaten umringt, das Gefängnis verläßt, vorn die niedergesunkene junge Frau, die ihm die Begnadigung hinzeigt. Der Kamin, die Schaufeln und Zangen waren in einem der Uhr ähnlichen Stil, die Füllungen der Täfelung hatten die jüngsten Porträts der Familie zum Schmuck, darunter ein oder zwei Rigaud und drei Pastelle von Latour. Vier Spieltische, ein Tricktrack, ein Tisch für das Pikettspiel verstellten das riesengroße Zimmer, das einzige, das einen gedielten Fußboden hatte. Das Schreibkabinett, ganz in altem roten Lack, Schwarz und Gold, getäfelt, hätte einige Jahre später einen unsinnigen Preis erzielen müssen, doch Mademoiselle Cormon hatte keine Ahnung davon; hätte man ihr aber für jedes Feld der Täfelung tausend Taler geboten, sie würde es nimmermehr hergegeben haben, denn sie hatte die Eigenart, sich nie von etwas zu trennen. In der Provinz glaubt man immer, daß die Vorfahren Schätze verborgen haben. Das unnütze Boudoir war mit dem altmodischen Perser überspannt, wonach sich heutigentags die Liebhaber des nach der Pompadour genannten Stils die Beine ablaufen. Der Speisesaal, der mit schwarzen und weißen Fliesen ausgelegt war, hatte keine Decke, sondern bemalte Balken. Ungeheure Büfetts mit Marmoraufsatz dienten hier den Schlachten, die den Mägen der Provinz geliefert werden. Die Mauern waren al fresco mit einem Blumengitter bemalt. Die Stühle waren aus lackiertem Rohr und die Türen aus naturfarbenem Nußbaum. Alles diente dazu, den patriarchalischen Charakter im Innern und im Äußern dieses Hauses auf bewundernswerte Weise zu vervollständigen. Der Geist der Provinz hatte alles darin konserviert; nichts war weder neu nach alt, weder jung noch verfallen. Eine kalte Exaktheit machte sich überall bemerkbar.
Die Touristen der Bretagne und der Normandie, der Maine und des Anjou müssen alle in den größeres Städten dieser Provinzen ein Haus gesehen haben, das mehr oder weniger dem Hause der Cormon glich; denn es ist in seiner Art der Urtypus der bürgerlichen Häuser eines großen Teiles von Frankreich und verdient seinen Platz in diesem Buche um so mehr, als es eine Sitte erläutert und Vorstellungen verkörpert. Wer fühlt nicht schon, wie ruhig und gewohnheitsmäßig das Leben in diesem alten Hause war? Es gab darin auch eine ›Bibliothek‹, aber sie war etwas unterhalb des Niveaus der Brillante untergebracht, war gut gebunden und sogar in Reifen gelegt, und der Staub, der sie bedeckte, war weit davon entfernt, ihr zu schaden, sondern erhöhte nur ihren Wert. Die Werke waren dort mit der Sorgfalt verwahrt, die man in den Provinzen, wo keine Weinberge sind, den unverfälschten, erlesenen, durch ihren altertümlichen Duft ausgezeichneten Erzeugnissen angedeihen läßt, die von den Keltern der Bourgogne, der Touraine, der Gascogne und des Südens geliefert werden. Die Transportkosten sind zu hoch, um schlechte Weine kommen zu lassen.
Der Grundstock der Gesellschaft von Mademoiselle Cormon bestand aus ungefähr hundertfünfzig Personen – einige waren auf dem Lande, andere krank, wieder andere reisten in Geschäften in dem Departement umher; aber es gab gewisse Getreue, die, unbeschadet der geladenen Gesellschaften, alle Tage kamen, ebenso wie die Leute, die aus Pflicht oder Gewohnheit genötigt waren, in der Stadt zu wohnen. All diese Leute waren in reiferem Alter; wenige unter ihnen waren gereist, die meisten waren in der Provinz geblieben, und etliche hatten sich an der Chouannerie beteiligt. Man fing an, ohne Furcht von diesem Kriege zu sprechen, seitdem den heldenmütigen Verteidigern der guten Sache Belohnungen zuteil wurden. Monsieur de Valois, einer der Anstifter des letzten Kampfes, in welchem der Marquis de Montauran, den seine Geliebte auslieferte, umgekommen war und in dem sich gar der berühmte Marche-à-Terre, der zur Zeit ruhig seinen Viehhandel im Umkreis von Mayenne betrieb, ausgezeichnet hatte, gab seit sechs Monaten lustige Streiche zum besten, die man einem alten Republikaner namens Hulot, dem Kommandanten einer in Alençon von 1798 bis 1800 stehenden Halbbrigade, der einige Andenken in dem Lande hinterlassen, gespielt hatte. Die Frauen machten keine große Toilette, außer am Mittwoch, dem Tage, wo
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