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Die alte Jungfer (German Edition)

Die alte Jungfer (German Edition)

Titel: Die alte Jungfer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Reichtum, ihren Ersparnissen und der Hinterlassenschaft des Onkels werden solle. Seit langem hatte man sie in Verdacht, daß sie im Grunde, obwohl es nicht den Anschein hatte, ein Original sei. In der Provinz ist es nicht erlaubt, ein Original zu sein. Das heißt Ideen haben, die von den andern nicht verstanden werden, und man verlangt dort Gleichheit des Geistes ebensowohl wie Gleichheit der Sitten. Die Verheiratung Mademoiselle Cormons galt seit 1804 als so problematisch, daß, wenn man in Alençon einer Sache alle Wahrscheinlichkeit absprechen wollte, es hieß: »Es ist so sicher wie die Heirat Mademoiselle Cormons«. Man muß zugeben, daß der Spott zu den stärksten Notwendigkeiten der Franzosen gehört, selbst wenn ihn eine so vortreffliche Person hervorrief. Nicht nur, daß sie die ganze Stadt bei sich empfing, sie war auch wohltätig, fromm, unfähig, eine Bosheit zu sagen; nebenbei war sie eins mit dem Geist und den Sitten der Bewohner, die sie als reinstes Symbol ihres Lebens verehrten; sie war mit den Gewohnheiten der Provinz verwachsen, hatte sich niemals daraus entfernt, teilte ihre Vorurteile, ihre Interessen, vergötterte sie. Trotz ihrer achtzehntausend Livres Rente an Grund und Boden, ein für die Provinz ansehnliches Vermögen, richtete sie sich doch nach den weniger reichen Häusern. Wenn sie sich auf ihr Landgut, Le Prebaudet, begab, fuhr sie in einer alten Korbhalbkutsche, die zwischen zwei Hängeriemen aus weißem Leder schwebte, von einer alten schnaufenden Stute gezogen wurde und auf beiden Seiten mit vor Alter rot gewordenen Ledervorhängen nur unvollkommen geschlossen war. Diese Kutsche, welche die ganze Stadt kannte, wurde von Jacquelin ebenso sorgfältig behandelt wie das schönste Pariser Coupé. Mademoiselle hing daran, sie benutzte sie seit zwölf Jahren, was sie übrigens mit der Siegesfreude eines Menschen zu erwähnen pflegte, der auf seinen Geiz stolz ist. Die meisten Einwohner rechneten es Mademoiselle Cormon hoch an, daß sie sie nicht durch den Luxus, den sie hätte entfalten können, demütigte; es ist sogar anzunehmen, daß, wenn sie eine Kalesche aus Paris hätte kommen lassen, man darüber noch mehr als über ihre fehlgegangenen Heiraten seine Glossen gemacht hätte. Der eleganteste Wagen hätte sie übrigens wie die alte Halbkutsche auch nirgends anders hingebracht als nach Le Prebaudet. Und die Provinz, die immer nur den Zweck im Auge hat, kümmert sich nicht um die Schönheit der Mittel; sie müssen nur wirksam sein.
    Um die Schilderung der intimen Gebräuche dieses Hauses zu vervollständigen, ist es notwendig, um Mademoiselle Cormon und den Abbé de Sponde noch Jacquelin, Josette und Mariette, die Köchin, zu gruppieren, die sich dem Wohlbehagen des Onkels und der Nichte widmeten. Jacquelin, ein Mann von vierzig Jahren, kurz und dick, mit dunkelrotem braungebrannten Gesicht, wie ein bretonischer Matrose, diente dem Hause seit zweiundzwanzig Jahren. Er wartete bei Tisch auf, striegelte die Stute, arbeitete im Garten, putzte die Schuhe des Abbé, machte Besorgungen, sägte das Holz, kutschierte, holte aus Le Prebaudet den Hafer, das Heu und das Stroh; abends blieb er im Vorzimmer, wo er wie ein Bärenhäuter schlief. Er liebte, wie man sagte, Josette, ein Mädchen von sechsunddreißig Jahren, die Mademoiselle Cormon weggeschickt haben würde, wenn sie sich verheiratet hätte. So sparten diese beiden armen Leutchen ihren Lohn zusammen und liebten sich in aller Stille; sie warteten und hofften auf die Heirat Mademoiselles, wie die Juden den Messias erwarten. Josette, die zwischen Alençon und Mortagne geboren war, war klein und fett. Ihrem Gesicht, das einer beschmutzten Aprikose glich, fehlte es nicht an ausgeprägter Eigenart und Klugheit; man sagte ihr nach, daß sie ihre Herrin regierte. Josette und Jacquelin, die einer Lösung sicher waren, verbargen eine Befriedigung, die darauf hätte schließen lassen können, daß die beiden Liebenden die Zukunft schon im voraus diskontierten. Mariette, die Köchin, auch schon seit fünfzehn Jahren im Hause, verstand es, alle Gerichte so zuzubereiten, daß es dem Lande zur Ehre gereichte.
    Eine besondere Erwähnung gebührt auch noch der alten rotbraunen normannischen Stute, die Mademoiselle Cormon auf ihr Landgut Le Prebaudet zog, denn alle fünf Bewohner dieses Hauses hatten für das Tier eine närrische Liebe. Sie hieß Penelope und tat ihren Dienst seit achtzehn Jahren, Sie wurde so gut gepflegt, mit solcher Pünktlichkeit

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